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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin
Autoren: Christopher W. Gortner
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    Ich war zehn Jahre alt, als mir bewusst wurde, dass ich eine Hexe sein könnte. Ich saß, wie üblich stickend, bei meiner Tante Clarissa, während das Sonnenlicht langsam über den Boden der Galerie wanderte. Draußen vor dem Fenster hörte ich das Plätschern des Brunnens im Hof, die Rufe der Straßenhändler in der Via Larga, das Klappern der Hufe auf dem Kopfsteinpflaster, und ich dachte zum hundertsten Male, ich würde es keine Minute mehr hier drinnen aushalten.
    »Caterina Romelo de Medici, kann es sein, dass du schon fertig bist?«
    Ich blickte auf. Die Schwester meines verstorbenen Vaters, Clarissa de Medici e Strozzi, sah mich von ihrem Sessel aus an. Ich wischte mir mit dem Ärmel über die Stirn. »Es ist so heiß hier drinnen«, sagte ich. »Darf ich nach draußen gehen?«
    Sie hob eine Braue. Noch ehe sie sprach, hätte ich ihre Worte bereits aufsagen können, sooft hatte sie sie mir schon eingebläut: »Du bist die Herzogin von Urbino, die Tochter von Lorenzo de Medici und seiner Frau Madeleine de la Tour, die von edlem französischem Blut war. Wie oft soll ich es dir noch sagen, du musst deine Regungen zügeln lernen, um dich auf deine große Zukunft vorzubereiten.«
    Die Zukunft war mir egal. Wichtig war mir nur, dass draußen Sommer und ich hier im Palazzo meiner Familie eingesperrt war und den ganzen Tag lernen und sticken musste, als könnte ich in der Sonne schmelzen.
    Ich schleuderte meinen Stickrahmen zu Boden. »Ich langweile mich! Ich will wieder nach Hause.«
    »Florenz ist dein Zuhause; es ist deine Geburtsstadt«, entgegnete sie. »Ich habe dich aus Rom mitgenommen, weil du fieberkrank warst. Du kannst dich glücklich schätzen, dass du überhaupt hier sitzen und mir Widerworte geben kannst.«
    »Ich bin ja nicht mehr krank«, begehrte ich auf. Ich konnte es nicht leiden, wenn sie meine angegriffene Gesundheit als Vorwand benutzte. »In Rom hat Papa Clemens mir wenigstens eigene Dienstboten gewährt und ein Pony zum Reiten.«
    Sie blickte mich ernst an, ohne einen Anflug von Zorn, den die Erwähnung meines päpstlichen Oheims sonst in ihr auslöste. »Mag sein, aber nun bist du hier, in meiner Obhut, und da wirst du dich meinen Regeln beugen. Es ist noch früh am Nachmittag. Ich lasse es nicht zu, dass du in diese Hitze hinausgehst.«
    »Ich werde eine Haube aufsetzen und mich im Schatten halten. Bitte, Tante Clarissa. Ihr könnt ja mitkommen.«
    Ich sah, wie sie versuchte, ein unwillkürliches Lächeln zu unterdrücken, als sie aufstand. »Wenn deine Arbeit zufriedenstellend ausfällt, können wir vor dem Nachtmahl eine kleine Runde auf der Loggia drehen.« Sie trat auf mich zu, eine hagere Frau in einem schlichten grauen Kleid, mit ovalem Gesicht und großen schwarzen Augen – den Medici-Augen, die auch ich geerbt hatte, ebenso wie die lockigen kastanienbraunen Haare und die langgliedrigen Hände.
    Sie hob meine Stickerei auf und schürzte tadelnd die Lippen, als sie mich kichern hörte. »Du findest es wohl witzig, der Heiligen Mutter Gottes ein grünes Gesicht zu geben? Also wirklich, Caterina; so eine Blasphemie.« Sie warf mir den Stickrahmen auf den Schoß. »Bring das sofort in Ordnung. Die Stickerei ist eine Kunst, die du ebenso beherrschen musst wie deine anderen Fächer. Ich will nicht, dass man von dir sagt, Caterina de Medici näht wie eine Bäuerin.«
    Ich hielt es für besser, mir das Lachen zu verkneifen, und begann, die Anstoß erregenden grünen Fäden herauszuzupfen, während meine Tante zu ihrem Sessel zurückkehrte. Sie blickte sinnend in die Ferne, und ich fragte mich, welche Prüfungen sie wohl noch für mich parat hatte. Ich liebte sie, doch sie sprach immer nur davon, wie hinfällig das Prestige unserer Familie geworden sei seit dem Tode meines Urgroßvaters Lorenzo il Magnifico; wie Florenz einst eine Hochburg der Künste und der Bildung gewesen sei, unter der Schirmherrschaft unserer Familie, und wie wir jetzt nur mehr illustre Gäste in der Stadt seien, die wir aufzubauen geholfen hatten. Mir obliege es, sagte sie, den Ruhm unserer Familie wiederherzustellen, da ich der letzte legitime Spross vom Stamme des Magnifico sei.
    Ich fragte mich, wie ich eine so hehre Aufgabe wohl erfüllen sollte. Ich war Waise seit kurz nach meiner Geburt; ich hatte weder Schwestern noch Brüder und war abhängig vom Wohlwollen meines päpstlichen Oheims. Als ich dies einmal erwähnte, schimpfte meine Tante: »Clemens der Siebte wurde als Bastard geboren. Er hat sich den Heiligen
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