Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruehling

Fruehling

Titel: Fruehling
Autoren: Rainer Maria Rilke
Vom Netzwerk:
Frühling
    B lättert zurück in euren Tagebüchern! War da nicht immer um die Frühlinge eine Zeit, da das ausbrechende Jahr euch wie ein Vorwurf betraf? Es war Lust zum Frohsein in euch, und doch, wenn ihr hinaustratet in das geräumige Freie, so entstand draußen eine Befremdung in der Luft, und ihr wurdet unsicher im Weitergehen wie auf einem Schiffe. Der Garten fing an; ihr aber (das war es), ihr schlepptet Winter herein und voriges Jahr; für euch war es bestenfalls eine Fortsetzung. Während ihr wartetet, daß eure Seele teilnähme, empfandet ihr plötzlich eurer Glieder Gewicht, und etwas wie die Möglichkeit, krank zu werden, drang in euer offenes Vorgefühl. Ihr schobt es auf euer zu leichtes Kleid, ihr spanntet den Schal um die Schultern, ihr lieft die Allee bis zum Schluß: und dann standet ihr, herzklopfend, in dem weiten Rondell, entschlossen mit alledem einig zu sein. Aber ein Vogel klang und war allein und verleugnete euch. Ach, hättet ihr müssen gestorben sein?
    Vielleicht. Vielleicht ist das neu, daß wir das überstehen: das Jahr und die Liebe. Blüten und Früchte sind reif, wenn sie fallen; die Tiere fühlen sich und finden sich zueinander und sind es zufrieden. Wir aber, die wir uns Gott vorgenommen haben, wir können nicht fertig werden. Wir rücken unsere Natur hinaus, wir brauchen noch Zeit. Was ist uns ein Jahr? Was sind alle? Noch eh wir Gott angefangen haben, beten wir schon zu ihm: laß uns die Nacht überstehen. Und dann das Kranksein. Und dann die Liebe.
    Werke VI (Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge), 925 f.
    W ie ein Ton, der in Spiegel schaut,
klang im November ein Amsellaut
oder als rührte ans eigene Haar
einer, weil's einmal geliebkost war.
    Aber am Morgen im Februar
darf es ein Fink schon wagen
etwas was kein Erinnern war
offen ins Jahr zu sagen.
    Werke II , 485
    VORFRÜHLING
    H ärte schwand. Auf einmal legt sich Schonung
an der Wiesen aufgedecktes Grau.
Kleine Wasser ändern die Betonung.
Zärtlichkeiten, ungenau,
    greifen nach der Erde aus dem Raum.
Wege gehen weit ins Land und zeigens.
Unvermutet siehst du seines Steigens
Ausdruck in dem leeren Raum.
    Werke II , 158
    O erster Ruf wagrecht ins Jahr hinein –,
die Vogel-Stimmen stehn.
Du aber treibst schon in die Zeit dein Schrein,
o Kukuk, ins Vergehn –
    Da: wie du rufst und rufst und rufst,
wie einer setzt ins Spiel,

und gar nicht baust, mein Freund, und gar nicht stufst
zum Lied, das uns gefiel.
    Wir warten erst und hoffen … Seltsam quer
durchstreift uns dieser Schrei;
als wär in diesem Schon ein Nimmermehr,
ein frühestes Vorbei –
    Werke II , 126 f.
    D er Kukuk erinnert mich so sehr an die Vorfrühlingstage auf dem Schönenberg, daß ich Ihnen rasch einen Gruß schicken muß, verehrte Freundin, an dem Tage, da ich ihn zum ersten Mal wiederhöre. Heute.
    Eben.
    Er erschien ganz unerwartet nach dem Schneefall des Vormittags und widerlegte ihn, widerrief ihn in den lauen Regennebel hinein, in seiner eifrigen, dabei etwas zerstreuten, verschwenderischen Art. – Oh ich kenn ihn gut –
    Schweizer Freunde (Dory Von der Mühll, 19. 4. 1921), 217
    S chon kehrt der Saft aus jener Allgemeinheit,
die dunkel in den Wurzeln sich erneut,
zurück ans Licht und speist die grüne Reinheit,
die unter Rinden noch die Winde scheut.
    Die Innenseite der Natur belebt sich,
verheimlichend ein neues Freuet-Euch;
und eines ganzen Jahres Jugend hebt sich,
unkenntlich noch, ins starrende Gesträuch.
    Des alten Nußbaums rühmliche Gestaltung
füllt sich mit Zukunft, außen grau und kühl;
doch junges Buschwerk zittert vor Verhaltung
unter der kleinen Vögel Vorgefühl.
    Werke II , 160
    N eue Sonne, Gefühl des Ermattens
vermischt mit hingebendem Freuen;
aber noch mehr fast ergreift mich die Unschuld des neuen
Schattens.
    Schatten des frühesten Laubes, das du durchhellst,
Schatten der Blüten –: wie klar!
Wie du dich, wahres, nirgends verstellst,
offenes Jahr.
    Unser Dunkel sogar wird davon zarter,
genau so rein war vielleicht sein Ursprung.
Und einmal war das alte Schwarz aller Marter
so jung.
    Werke II , 124
    J a, Sonntag, was war das für ein – beinah Sommer, also bei Ihnen auch –, ich trank auch meinen Caffée auf dem Balkon und mußte mir meinen Hut holen, so warm war die Sonne im Schein und im Widerschein der alten Mauern. Was wir dort, in tausenden von Spalten und Rissen, für Miether und Überwinterer gehabt haben, das zeigt sich erst jetzt. Chère, dich an der Balkonthür, rechts von ihr, im Heraustreten, eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher