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Fruehling

Fruehling

Titel: Fruehling
Autoren: Rainer Maria Rilke
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steigende Stimme, die nicht aufhört zu steigen; die wie ein ganzes in Stimme verwan
deltes Wesen ist, dessen alles: dessen Gestalt und Gebärde, dessen Hände und Gesicht Stimme geworden ist, nächtliche, große, beschwörende Stimme. Fernher trugs die Stille manchmal an mein Fenster heran, und mein Ohr übernahms und zog es langsam ins Zimmer herein und, über mein Bett her, in mich ein. Und gestern fand ich sie alle, die Nachtigallen, und ging in einem lauen, überdeckten Nachtwind an ihnen vorbei, nein, mitten durch sie durch, wie durch ein Gedränge von singenden Engeln, das sich gerade nur teilte, um mich durchzulassen, und vor mir zu war und sich hinter mir wieder zusammenschloß. So, von ganz nahe, hörte ich sie. (Ich war in der Stadt gewesen, um mit durchreisenden Freunden der Elberfelder von der Heydts zu essen, und kam gegen zehn mit dem Zuge nach Val-Fleury zurück.) Da fand ich sie: in allen diesen alten, vernachlässigten Parken (in dem mit dem schönen Haus, dessen Mauern langsam zusammenfallen, als ob ein Geschütz der Zeit gerade auf sie gerichtet wäre, und der, mitten durchgeschnitten von der Bahn, wie eine auseinandergefallene Frucht sein Inneres zeigt, welk und beschlagen; – und ein Stück weiter drüben in einem dichten Parkstück) und dahinter und oben in den verschlossenen Gärten der Orangerie. Und von der anderen Seite kams herüber über die Mauern der alten Mairie und dann plötzlich neben mir aus einem kleinen, dichten Garten voll von Hecken und Fliedergebüsch –: kam so erkennbar und so mit ihm, der verhalten unter halbheller Nacht lag, ineinandergewoben, wie wenn man in einem Stück Spitze das Bild eines Vogels erkennt, aus denselben Fäden geschlungen, die Blumen bedeuten und Blühendes und dichtesten Überfluß. Und das war Lärm und war um mich und übertönte alle Gedanken in mir und alles Blut; war wie ein Buddha aus Stimmen, so groß und herrisch und überlegen, so ohne Widerspruch,
so bis an der Grenze der Stimme, wo sie wieder Schweigen wird, schwingend mit derselben intensiven Fülle und Gleichmäßigkeit, mit der die Stille schwingt, wenn sie groß wird und wenn wir sie hören …
    Briefe I (Clara Rilke, 3. 5. 1906), 130 f.
    W ie vor dem Einzug, wie in leeren Gemächern,
hämmert der Specht an dem Stamme der kahlen
Ulme. Von Zukunftsplänen strahlen
die Winde über den Dächern.
    Dies wird einmal der Sommer sein.
Eine vollendete Wohnung.
Welches Gedräng an der Tür!
Alles zieht selig ein.
Wie zur Belohnung.
Wofür?
    Werke II , 123
    A ch wie du ausholst, Vogel,
nach deinem Herzen. Wer darf
hoffen, daß Innres
so entspränge aus ihm
    Werke II , 387
    S chön hab ichs aufgefaßt, wie mirs noch nie sich darstellte: dieses immer weiter Hineinverlegtsein des entstehenden Geschöpfs aus der Welt in die Innen-Welt. Daher die reizende Lage des Vogels auf diesem Wege nach Innen; sein Nest ist ja fast ein von der Natur ihm bewilligter äußerer Mut
terleib, den er nur ausstattet und zudeckt, statt ihn ganz zu enthalten. So ist er dasjenige von den Thieren, das zur Außenwelt eine ganz besondere Gefühlsvertraulichkeit hat, als wüßte er sich mit ihr im innigsten Geheimnis. Darum singt er in ihr, als sänge er in seinem Innern, darum fassen wir einen Vogellaut so leicht ins Innere auf, es scheint uns, als übersetzten wir ihn, ohne Rest, in unser Gefühl, ja er kann uns, für einen Augenblick die ganze Welt zum Innenraum machen, weil wir fühlen, daß der Vogel nicht unterscheidet zwischen seinem Herzen und dem ihren. – Einerseits wird nun dem Thierischen und Menschlichen viel zugewonnen durch die Hineinverlegung des ausreifenden Lebens in einen Mutterleib: denn er wird um soviel mehr Welt, als draußen die Welt Betheiligung an diesen Vorgängen einbüßt (als wäre sie unsicherer geworden, hat man's ihr fort genommen –), andererseits: (aus meinem Taschenbuche, voriges Jahr eingeschrieben, in Spanien, – Du wirst es erinnern, die Frage:) »Woher stammt die Innigkeit der Kreatur« (der übrigen): aus diesem Nicht-im-Leibe-Herangereiftsein, das es mit sich bringt, daß sie eigentlich den schützenden Leib nie verläßt. (Lebenslang ein Schooßverhältnis hat).
    Andreas-Salomé (20. 2. 1914), 315 f.
    W ie mich die kleinste Vogelstimme draußen trifft und angeht, lieber Gott, daß es Frühling würde und ich käme irgendwo mit allen Sinnen an die Natur …
    Taxis I , 249, 17. 12. 1912
    A ch zwischen mir und diesem Vogellaut:
was war verabredet?
Ich weiß nicht mehr, –
ach
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