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Der Wald: Roman

Der Wald: Roman

Titel: Der Wald: Roman
Autoren: Richard Laymon
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    Wieder hörte Cheryl das Geräusch – ein leises, trockenes Knistern von Schritten im Laub. Dieses Mal kam es ganz aus der Nähe.
    Sie lag steif im Schlafsack und wagte kaum zu atmen, während sie auf die schräge Zeltwand starrte und versuchte, ruhig zu bleiben.
    Es ist bestimmt nur ein Tier. Vielleicht ein Hirsch. Als sie vor ein paar Tagen auf einer Wiese unterhalb des Passes gecampt hatten, waren sie von einem Hirsch, der um ihr Zelt streifte, geweckt worden. Er war mit den Hufen durch die Blätter gestapft, hatte Zweige umgeknickt und in der Erde gescharrt. Danny hatte ihn »Bambi den Elefanten« genannt.
    Dieses Geräusch war anders.
    Es klang verstohlen.
    Sie hörte es erneut, zuckte zusammen und grub die Fingerspitzen in ihre nackten Schenkel.
    Vielleicht war etwas von einem Baum gefallen? Tannenzapfen? Das könnte sich so ähnlich anhören, dachte sie. Es war windig genug, um sie loszurütteln.
    So muss es sein. Sonst würde ja jemand direkt neben dem Zelt stehen, und das ist unmöglich.
    Sie waren seit zwei Tagen niemandem begegnet. Am frühen Nachmittag hatten sie den Lower Mesquite Lake erreicht. Der Gletschersee war bis auf dieses kleine Waldstück von kargen Felsen umgeben. Sie waren komplett um den See herumgewandert. Sie hatten den Wald erkundet. Sie hatten niemanden gesehen.
    Nicht einmal, als sie über den niedrigen Grat zum Upper Mesquite Lake aufgestiegen waren.
    Keine Menschenseele.
    Cheryl atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen.
    Schlaf jetzt, du Schisserin.
    Cheryl konzentrierte sich darauf, ihre Beine, den Bauch und den Rücken zu entspannen, ließ sich von der Wärme einlullen und drehte den Kopf, um die verkrampften Nackenmuskeln zu dehnen. Sie hätte sich am liebsten auf den Bauch gelegt und tief im Schlafsack verkrochen, aber sie wagte nicht, sich so viel zu bewegen.
    Ein Monster unter dem Bett. Es war wie damals als Kind, als sie gewusst hatte, dass unter dem Bett ein schreckliches Monster lauerte. Wenn sie völlig still lag, würde es sie in Ruhe lassen.
    Ich bin achtzehn. Ich bin zu alt für so was.
    Langsam begann sie, sich umzudrehen. Ihre nackte Haut rieb über den Nylonstoff, und es raschelte so laut, dass das andere Geräusch beinahe übertönt wurde. Cheryl erstarrte. Sie lag auf der Seite, mit dem Gesicht zu Danny. Das andere Geräusch kam von hinter ihr – ein Zischen, als würde jemand mit den Fingernägeln über die Zeltwand kratzen.
    Sie warf sich gegen Danny und rüttelte ihn an den Schul tern. Stöhnend hob er den Kopf. »Hä? Was ist …«
    »Da draußen ist jemand«, keuchte sie.
    Er richtete sich auf den Ellbogen auf. »Was?«
    »Draußen. Ich hab jemanden gehört.«
    »Wen?«
    »Pst.«
    Beide blieben still liegen.
    »Ich hör nichts«, sagte er verschlafen.
    »Ich hab aber was gehört. Mein Gott, jemand ist direkt am Zelt. Er hat daran gekratzt .«
    »Bestimmt nur ein Zweig.«
    »Danny.«
    »Okay, schon gut, ich geh raus und seh mal nach.«
    »Ich komm mit.«
    »Wir müssen uns nicht beide den Arsch abfrieren. Ich geh schon.« Auf allen vieren durchwühlte er die Kleider und Ausrüstungsgegenstände am Kopfende. Kühle Nachtluft drang in den Doppelschlafsack. Er zog die Taschenlampe aus einem seiner Stiefel. »Bin gleich wieder da«, sagte er.
    Cheryl rutschte zur Seite. Danny befreite sich aus dem Schlafsack und kroch nackt zum Ausgang. Auf Knien zog er den Reißverschluss des Moskitonetzes herunter.
    Cheryl setzte sich auf. Kälte umfing sie. Zitternd schlang sie die Arme um ihre Brüste. »Vielleicht solltest du lieber nicht gehen«, flüsterte sie. »Komm zurück.«
    »Nein, ist schon in Ordnung.«
    »Bitte.«
    »Ich muss sowieso mal pinkeln.« Er kroch durch die Zeltklappen. Als er zur Hälfte hindurch war, hielt er inne. Er stieß ein tiefes Stöhnen aus. Einer seiner Füße wich zurück.
    Cheryl hörte ein feuchtes Klatschen. Etwas spritzte auf die Zeltklappen.
    Dannys Beine klappten unter ihm zusammen und streckten sich. Er warf sich hin und her, die Knie schlugen auf den Zeltboden, sein Körper zuckte wild, durchgeschüttelt von nicht enden wollenden Krämpfen. Schließlich rührte er sich nicht mehr.
    Cheryl sah entsetzt zu, wie Danny durch die Zeltklappen nach draußen gezogen wurde. Seine Hinterbacken verschwanden. Die Beine schleiften über den Boden, als würde er langsam in ein dunkles Maul gesaugt.
    Cheryl war allein im Zelt.
    Aber nicht lange.

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    Meg taumelte ins Wohnzimmer. Ein Träger des Nachthemds war ihr über die
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