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Der Wald: Roman

Der Wald: Roman

Titel: Der Wald: Roman
Autoren: Richard Laymon
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Dann wären wir heute noch in Fresno. Du hättest nicht mal Blut mitnehmen müssen. Wenn du bloß genug Verstand gehabt hättest, mir Haare und Nägel zu bringen, hätte ich die Essenzen gehabt, um einen Schutz um uns zu errichten.«
    »Mir gefällt’s hier gut«, nuschelte er.
    »Tja, mir aber nicht.« Ihre Knie knackten, als sie aufstand. »Ich lege Wert auf mein körperliches Wohlergehen, Merle. Ich habe gern gutes Essen und ein kaltes Bier und hübsche Kleider und ein weiches Bett.«
    »Und Männer«, fügte er mit einem angedeuteten Grinsen hinzu.
    »Das stimmt.« Sie steckte das Messer in die Scheide an der Seite ihres Kleids und knotete den Beutel wieder an ihren Gürtel. »Das alles hast du mir weggenommen, weil du geil und leichtsinnig warst.«
    »Ich hab es dir doch erklärt, Ettie. Er hat zu mir gesprochen.«
    Sie glaubte ihm nicht. »Versuch nicht, deine Schuld zu leugnen, Merle. Und jetzt kümmerst du dich darum, die Leichen zu vergraben und ihre Sachen zur Höhle zu bringen. Ich komme vor Sonnenuntergang zurück und kontrolliere das, und ich will, dass dieser Platz aussieht, als wäre niemals jemand hier gewesen. Ist das klar?«
    »Ja, Ma’am.«
    »Und wenn du jemals wieder ohne meine Erlaubnis jemanden opferst, bist du der ärmste Junge, der auf dieser Erde rumläuft.«
    Er sah zu Boden. »Ja, Ma’am.«
    Ettie ließ ihn allein und ging am steingesäumten Ufer entlang. An der schmalen Südspitze des Sees, wo der Zufluss vom Upper Mesquite herunterplätscherte, kauerte sie sich nieder und trank Wasser aus der hohlen Hand. Selbst nach einem Monat hier oben konnte sie immer noch kaum fassen, wie kühl und frisch das Wasser war. Es war unglaublich, dass Wasser so gut schmecken konnte. Im September, wenn sie weggehen mussten, würde sie es vermissen. Aber sonst würde sie nichts vermissen: weder die Hitze, die die Felsen ausstrahlten, noch die Moskitos oder den Wind, der nachts oft derart wütete, dass sie nicht schlafen konnte, oder die Kälte nach Sonnenuntergang oder den harten Boden, auf dem sie schliefen. Sie wäre froh, all das hinter sich zu lassen.
    Ettie schnallte die Leinenhülle ihrer Feldflasche auf, holte die Aluminiumflasche heraus und drehte den Deckel ab. Sie goss das alte Wasser weg. Die leere Flasche hielt sie unter einen moosbedeckten Felsvorsprung, und kühles, frisches Wasser floss über ihre Hand. Als die Flasche überlief, schraubte sie den Deckel fest und schob sie wieder in die Hülle. Beim Aufstehen spürte sie ihr Gewicht. Es war ein angenehmes Gefühl.
    Dicht an dem Zufluss kletterte sie an den zerbrochenen Granitplatten zum Grat zwischen den beiden Seen hinauf. Oben drehte sie sich langsam um und suchte die Hänge ab, die hoch über ihr aufragten. Dann blickte sie zu dem Pfad, der vom Carver Pass hinab zum Nordende des Lower Mesquite führte. Alle paar Tage kamen Wanderer mit Rucksäcken vorbei. Bis gestern, als diese beiden dort ihr Zelt aufgeschlagen hatten, hatte sich Merle anständig benommen.
    Verdammter Merle. So eine Scheiße!
    Jetzt war der Pfad verlassen. Falls heute jemand auftauchen sollte, würde es höchstwahrscheinlich erst abends geschehen. Zum Pass war es ein anstrengender, drei Stunden langer Aufstieg vom nächsten See im Osten, deshalb müsste Merle eigentlich genügend Zeit haben, sich um die Schweinerei zu kümmern. Außerdem gab es ja noch den Zauber …
    Ettie trat auf einen glatten Felsen und löste den Gürtel mit der Ausrüstung. Sie legte ihn zu ihren Füßen auf den Boden, öffnete die Knöpfe ihres verblichenen formlosen Kleids und zog es sich über den Kopf. Bis auf ihre schweren Stiefel und die Strümpfe war sie nackt. Sie spürte die Sonne auf ihrer Haut und die Liebkosung einer leichten Brise. Die Luft roch nach Hitze. Der Duft von versengten Piniennadeln und aufgeheizten Steinen.
    Sie breitete ihr Kleid auf dem Granit aus und setzte sich darauf. Durch die dünnen Stoffschichten fühlte sich der Fels hart und rau an. Die Hitze sickerte hindurch und brannte an ihrem Hintern, während sie die Stiefel und die feuchten Strümpfe auszog.
    Sie knotete den Lederbeutel von ihrem Gürtel los. Sie schlug die Beine übereinander und setzte sich aufrecht hin, den Rücken durchgedrückt, den Kopf gerade. Mit beiden Händen presste sie den Beutel an ihr Brustbein.
    »Der Dunkelheit«, flüsterte sie, »übergebe ich die Essenzen meiner Feinde. Wie ihre Essenzen verborgen sind, so sollen auch alle Spuren ihrer Anwesenheit aus diesem Canyon verbannt werden, so
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