Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kind der Hölle

Kind der Hölle

Titel: Kind der Hölle
Autoren: John Saul
Vom Netzwerk:
PROLOG

    Es lebte.
    Es lebte immer noch.
    Sie spürte es in ihrem Bauch. Es bewegte sich wieder, strampelte und trat nach ihr.
    Sie hatte gehofft, daß es sterben würde.
    Gehofft und gebetet… Als sie es zum allerersten Mal gespürt hatte, war sie auf die Knie gefallen und hatte Gott angefleht, sie von dem keimenden Bösen in ihrem Leib zu erlösen, und seitdem hatte sie dieses Stoßgebet an jedem langen Tag und in jeder noch längeren Nacht immer wieder zum Himmel geschickt. Sie fand keinen Schlaf mehr, weil sie ständig auf der Hut vor dem Übel sein mußte, weil ihre Wachsamkeit nie nachlassen durfte, nicht einmal für Sekunden, obwohl es ein Segen gewesen wäre, das Grauen wenigstens vorübergehend zu vergessen. Wie oft hatte sie sich auf schweißnassen Laken von einer Seite auf die andere gewälzt und dem Summen der Insekten vor dem Fenster gelauscht, und wie oft war sie schließlich aus dem Bett gesprungen, hatte in die gähnende Finsternis gestarrt und überlegt, ob sie das Fliegengitter öffnen und die Blutsauger einlassen sollte.
    Einmal hatte sie in ihrer Verzweiflung das schützende Netz mit den Fingernägeln zerfetzt, ihr Nachthemd weit aufgerissen, so als wollte sie sich einem Liebhaber hingeben, und ihren gemarterten Körper den winzigen Lebewesen dargeboten, die – angelockt vom öligen Schweißgeruch – sofort ins Zimmer eindrangen und sie gierig umschwirrten. Unzählige Stachel bohrten sich wie feine Widerhaken in ihre Haut, und sie begrüßte diesen Schmerz, weil sie hoffte, daß die Moskitos, die sich an ihrem Blut labten, auch das Böse aus ihren Poren saugen würden.
    Doch die Verderbtheit obsiegte wieder einmal: gegen ihren Willen hatte sie die Insekten verscheucht, das Fenster geschlossen und sich stundenlang unter die heiße Dusche gestellt – ein erfolgloser Versuch, sich von den Giften zu reinigen.
    Und als sie schließlich ins Bett zurückgekehrt war, hatte sie nicht nur sich selbst und den neben ihr schlafenden Mann verflucht, sondern vor allem die Krankheit, der sie hilflos ausgesetzt war.
    Denn es war eine Krankheit, nichts anderes.
    Ein Siechtum als Strafe für Sünden, die so schlimm waren, daß sie jede Erinnerung daran verdrängt hatte. Übrig blieb nur die Fäulnis, die sich in ihrem Körper ausbreitete und sie von Tag zu Tag stärker auszehrte.
    »Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?«
    Es war kein gellender Aufschrei, der sich ihrer Kehle entrang, sondern nur ein kraftloses Wimmern. Doch diese schwache Klage genügte, um den heftigen Unmut des Geschöpfs zu erregen, das sich in ihr eingenistet hatte. Stöhnend taumelte sie aus dem Haus. Sie verlor das Gleichgewicht, schürfte sich am rauhen Steinpflaster der Auffahrt die Knie auf und brach dann zusammen. Einen glückseligen Moment lang glaubte sie zu sterben, aber das Toben in ihrem Leib ließ schnell nach, und ihr Röcheln ging in regelmäßige Atemzüge über. Noch immer war ihr keine Befreiung vergönnt. Mühsam kam sie wieder auf die Beine und starrte das Haus an.
    Einst hatte sie diesen prächtigen Bau mit dem steilen Dach, den vielen Giebeln, der breiten Veranda und den kunstvollen Holzverzierungen bewundert. Doch jetzt wußte sie, daß hinter der schönen Fassade das Böse hauste, ganz so, als würde eine Nutte ihr verlebtes Gesicht dicht verschleiern oder eine Maske aufsetzen.
    Eine Nutte wie ich.
    Aufschluchzend gestand sie sich diese bittere Wahrheit ein, die ungebeten aus der Tiefe ihres Unterbewußtseins emporgestiegen war.
    Das Wesen in ihrem unförmigen Leib erprobte erneut seine Kraft, und die Frau wand sich in Krämpfen. Sie wankte gekrümmt auf die Stufen zu, die zur Veranda und in die gruftartigen Räume führten, blieb aber dann plötzlich stehen.
    Nein – nicht drinnen!
    Die feste Überzeugung, daß etwas sich grundlegend verändert hatte, seit sie vor wenigen Sekunden ins Freie geflüchtet war, veranlaßte sie umzukehren.
    Dahinter.
    Es ist hinter dem Haus.
    Von irgendeiner unsichtbaren Kraft magisch angezogen, stolperte die Frau langsam auf die Rückseite des Hauses zu. Die fast im Zenit stehende Sonne brannte gnadenlos auf sie herab, versengte ihre Haut und gab ihr das Gefühl, als breiteten lodernde Flammen sich von ihrem Bauch in den Oberkörper, in Arme und Beine aus. Scharfe Krallen schienen sie von innen zu zerfetzen, um dem engen Gefängnis entrinnen zu können.
    Und dann sah sie es.
    Instinktiv hob sie die Hände, um ihre Augen vor dem gräßlichen Anblick zu schützen – oder um sie sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher