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Kind der Hölle

Kind der Hölle

Titel: Kind der Hölle
Autoren: John Saul
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dazugehörige Gesicht skizziert hatte: rund, mit jenen weichen, verwaschenen Konturen, die so schwer zu zeichnen waren, weil sie keine Gefühlsregung widerspiegelten. Das gnadenlose Urteil der STIMME lautete jedesmal: »Die Kreditkarte ist gesperrt.«
    Eigentlich müßtest du doch schon daran gewöhnt sein, sagte sie sich. Nach all den vielen Jahren solltest du gar nichts anderes mehr erwarten. Trotzdem mied sie den Blick des Angestellten und starrte statt dessen die wenigen Artikel in ihrem Einkaufskorb an: fünf Farbtuben, drei davon in verschiedenen Blautönen. Wirklich unentbehrlich war im Augenblick nur das Kobalt, und notfalls konnte sie auch auf zwei der Pinsel verzichten, aber den dritten brauchte sie unbedingt.
    Dringender als die Lebensmittel für das heutige Abendessen?
    Zwischen Demütigung und Zorn schwankend, zwang sie sich, mit hochrotem Kopf den jungen Mann an der Kasse anzusehen, der höchstens zwei oder drei Jahre älter war als ihre Zwillinge, und dem die Sache noch peinlicher zu sein schien als ihr selbst. »Es ist nicht Ihre Schuld«, versicherte sie ihm und hätte am liebsten hinzugefügt: Meine ist es aber auch nicht. Doch die mahnende Stimme ihrer vor fünf Jahren an Krebs verstorbenen Mutter hielt sie davon ab. Wir waschen unsere schmutzige Wäsche niemals in der Öffentlichkeit. Unter Aufbietung aller Willenskraft verbarg sie ihre wahren Gefühle hinter einem gezwungenen Lächeln und beteuerte: »Da muß irgendein Versehen vorliegen … Ich werde das Zeug heute Nachmittag abholen.«
    Mit dem schwachen Trost, daß ihre Mutter bestimmt beifällig genickt hätte, verließ sie hastig den Laden. Sie spürte, daß der junge Mann ihr nachschaute, und ihr war klar, daß er ihre Lüge durchschaut hatte.
    Vielleicht würde sie ihr Malzubehör irgendwann nächste Woche kaufen können, aber an diesem Nachmittag auf gar keinen Fall.
    In Louisiana herrschte eine für September ungewöhnliche Hitze, und während sie sich ans Steuer ihres alten Toyota setzte, hoffte sie inbrünstig, daß er anspringen würde, denn ihre Visa-Card würde in einer Reparaturwerkstatt zweifellos genausowenig akzeptiert werden wie in dem Geschäft für Zeichenbedarf. Ohne sich dessen bewußt zu sein, hielt sie ängstlich den Atem an, bis der Motor stotternd zum Leben erwachte.
    Obwohl der Supermarkt eigentlich ihr nächstes Ziel gewesen war, fuhr sie in die entgegengesetzte Richtung. Sie wollte die Kreditkartenangelegenheit sofort zur Sprache bringen, und nicht darauf warten, bis Ted von der Arbeit nach Hause kam. Falls er überhaupt nach Hause kam, was die große Frage war. Sie stellte sich diese Frage tagtäglich.
    Das Majestic Hotel mochte einst der Stolz von Shreveport gewesen sein, wie auf dem Werbeplakat stolz zu lesen war, doch diese Glanzzeit gehörte längst der Vergangenheit an. Obwohl der Parkplatz nur für Hotelgäste reserviert war, stellte Janet ihr Auto trotzig vor dem häßlichen Ziegelbau ab und holte mehrmals tief Luft, weil sie wußte, daß es im Innern unerträglich nach abgestandenem Zigarettenrauch stinken würde. Angewidert stieß sie die stark verschmutzte Glastür auf und machte einen großen Schritt über den Riß im abgewetzten Teppichboden hinweg. Das letzte Hotel, in dem Ted beschäftigt gewesen war, hatte immerhin noch eine gepflegte Empfangshalle gehabt. In welchem dritt-oder viertklassigen Etablissement würde er demnächst landen?
    Sie wollte lieber nicht darüber nachdenken.
    Der Mann am Empfang nickte ihr lässig zu. »Den Weg ins Büro Ihres Mannes können Sie sich sparen, Mrs. Conway. Er macht gerade Pause.«
    Janets Wut, die während der Autofahrt abgeflaut war, wurde neu entfacht, als er mit einer Kopfbewegung in Richtung Bar grinsend hinzufügte: »Diese Pause dauert jetzt schon gut eine Stunde!«
    Wieder war es die Stimme ihrer Mutter, die sie zur Ordnung rief: Bring nicht den Kurier um, nur weil seine Botschaft dir nicht gefällt!
    »Danke«, murmelte sie unwillig und stieß die Tür zur verräucherten Bar auf. Ein halbes Dutzend früher Zecher saß an der Theke, darunter eine etwa vierzigjährige wasserstoffgebleichte Blondine, die ihre üppigen Kurven in ein viel zu enges Kleid gezwängt hatte. Mit trüben Augen musterte sie Janet von Kopf bis Fuß, erkannte sofort, daß das keine Konkurrentin war, und wandte sich beruhigt wieder ihrem schäbig gekleideten Freier zu. Ein Glück, daß sich im Maestic keine attraktiven jungen Nutten mehr blicken ließen!
    Ohne die alternde Prostituierte
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