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Kind der Hölle

Kind der Hölle

Titel: Kind der Hölle
Autoren: John Saul
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vielleicht sogar auszukratzen. Gleich darauf sanken ihre Arme jedoch kraftlos herab, und sie musterte die alte Magnolie, die hinter dem Haus immer mehr Platz beanspruchte.
    Es war der Mann.
    Der Mann, den sie geheiratet hatte.
    Der Mann, der sie in dieses Haus gebracht hatte.
    Der Mann, der ihr die Krankheit beschert hatte.
    Der Mann, der bewußtlos neben ihr gelegen hatte, wenn sie um Erlösung vor dem Bösen betete, obwohl sie wußte, daß ihr Flehen unerhört bleiben würde.
    Jetzt war er tot. Ein dickes Hanfseil um den Hals, hing er splitternackt am tiefsten Ast der Magnolie.
    Sein Kopf bildete einen unnatürlichen Winkel, und seine starren Augen hatten einen Ausdruck, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    Die steifen Finger seiner rechten Hand hielten das Messer umklammert, mit dem er sich den Bauch aufgeschlitzt hatte, und seine Eingeweide lagen in einem blutigen Durcheinander am Boden unter den herabbaumelnden Beinen.
    Schon hatte sich ein Fliegenschwarm auf dem verstümmelten Leichnam niedergelassen, und bald würden sich Millionen Maden an seinem Fleisch gütlich tun.
    Er hatte einen Fluchtweg gefunden.
    Er hatte sie allein gelassen.
    Allein mit der Krankheit.
    Von Ekel und Grauen geschüttelt, wandte die Frau sich ab und torkelte wie ein weidwundes Tier ins Haus zurück. Unverständliche Laute ausstoßend, wußte sie nur eines: Sie mußte der grellen Mittagssonne entkommen und sich in ihrer Höhle verkriechen.
    Sie mußte sich verstecken.
    Vor der Welt verstecken.
    Vor dem Mann verstecken.
    Vor dem Bösen verstecken.
    Die Fäulnis in ihr machte immer gebieterischer auf sich aufmerksam und überwältigte sie derart, daß sie nicht mehr wußte, wo sie war und was sie tat.
    Eine Tür öffnete sich vor ihr, und sie stolperte die Treppe ins Halbdunkel hinab, rutschte aus und stürzte in die Tiefe. Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie hieß den Tod mit offenen Armen willkommen.
    Ihr Körper schlug hart auf dem kalten Kellerboden auf. Sie lag regungslos da, doch gegen ihren Willen begann ihr Herz wieder zu schlagen, und ihre Lungen füllten sich wieder mit Luft.
    Und nun stand ihr die letzte Qual bevor – jene unvermeidliche Qual, vor der sie sich so gefürchtet hatte.
    Glühende Hitze breitete sich wie Lava in ihrem Körper aus, setzte jeden Nerv in Brand, verkrampfte jeden Muskel. Heftig würgend und mit Händen und Füßen wild um sich schlagend, so als wollte sie einen unsichtbaren Folternknecht abwehren, stieß sie einen gepeinigten Schrei aus.
    »NEEEEIN …«
    Der Schrei verklang, gefolgt von hoffnungslosem Schweigen, von grauenvoller Stille.
    Allmählich verebbte der Schmerz, so als wäre das Feuer in ihrem Leib gelöscht worden. Endlich hatte sie die Fäulnis ausgestoßen …
    Auf den Ellbogen gestützt, betrachtete sie das winzige Geschöpf zwischen ihren Beinen. Von blutigen Gewebefetzen umhüllt, streckte das Baby seine dünnen Ärmchen nach ihr aus. Die Frau starrte es lange an, bevor sie es hochhob und in die linke Armbeuge legte. Mit den Fingern der rechten Hand streichelte sie sein Gesicht.
    Ohne das Neugeborene aus den Augen zu lassen, glitten ihre Finger zu seinem Hals hinab und drückten fest zu.
    Dabei hörte sie sich die vertrauten Worte murmeln, die ihrer Seele Frieden bescherten. »Vater unser im Himmel…«
    Das Baby wehrte sich gegen den Würgegriff. Kleine Finger zerrten kraftlos an ihrer Hand.
    »… Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern …«
    Die winzigen Finger gaben den Kampf auf, das Strampeln wurde immer schwächer.
    »… Und erlöse uns von dem Bösen …«
    Das Baby bewegte sich nicht mehr. Regungslos lag es in ihren Armen.
    »Amen.«
    Man fand sie kurz nach Sonnenuntergang.
    Sie betete immer noch, doch von dem Baby fehlte jede Spur, so als hätte es nie existiert.
    Sie leistete keinen Widerstand, als man sie aus dem Haus führte und in den Krankenwagen setzte.
    Sie warf keinen Blick zurück, als der Wagen losfuhr.
    Ihr Gesicht war heiter, und sie summte leise vor sich hin.
    Endlich war ihr die Erlösung zuteil geworden.

SEPTEMBER

1. Kapitel

    Die erste Schamröte stieg Janet Conway ins Gesicht, bevor der Kassierer auch nur ein Wort sagte, und sie überlegte, wieviel Bargeld sie wohl bei sich hatte, während er den Hörer abnahm und der STIMME lauschte. Die STIMME hörte sich immer gleich an, sehr angenehm und vernünftig, aber völlig unpersönlich, und Janet hatte sie so oft gehört, daß sie in ihrer Fantasie längst das
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