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Heaven - Stadt der Feen

Heaven - Stadt der Feen

Titel: Heaven - Stadt der Feen
Autoren: Christoph Marzi
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Prolog
    D ie Nacht, in der Heaven ihr Herz verlor, war mondlos und kalt. Die Klinge indes, die ihr das Herz aus dem Körper schnitt, war warm vom dunklen Blut des Mädchens. Verloren, verwirrt und furchtsam pochend, spiegelte sich das Herz im Silberschein dieser sichelförmigen Klinge. Finger, die in schwarzen Handschuhen aus glattem Leder steckten, hielten das Herz vor ein Gesicht, das äußerst zufrieden wirkte.
    Der Mann, der in dieser Nacht nicht zum ersten Mal ein Herz stahl, winkte eine hinkende Lumpengestalt heran, die sich im Hintergrund verborgen gehalten hatte.
    Allesamt befanden sie sich auf einem Dach, wo ein scharfer Wind wehte und die Rauchschwaden aus den vielen Kaminen wie lebendige Wesen die Finsternis berührten. Das Dach mit den dunklen Ziegeln gehörte zu dem Haus mit der Nr. 16 am Phillimore Place, gelegen zwischen Holland Park und Kensington Gardens. Es bot einen wirklich schönen Ausblick auf die Stadt, doch keine der beiden Gestalten, die dort oben waren, kümmerte sich darum. Beide starrten auf den Körper, der reglos zu ihren Füßen lag.
    Das Mädchen war jung und das pechschwarze Haar war nass vom Wasser der Pfützen, die das Dach bedeckten. Seine dunkle Haut schimmerte in der Nacht, Tränen glänzten auf den Wangen.
    Der große Mann, der in jedem Stadtteil Londons unter einem anderen Namen bekannt war, hatte sich an diesem Abend nach Chelsea begeben, um ein Herz zu finden. Er war dem Mädchen seit Wilton Crescent gefolgt, zwei Stunden lang. Der Lumpenmann, der wie ein räudiger Hund in alten abgetragenen Klamotten neben ihm stand, hatte die Witterung am Sloane Square aufgenommen und von da an hatte es kein Entkommen mehr gegeben. Das Mädchen, das eigentlich schon eine junge Frau war (jemand, den man früher in der Gegend von Hampstead Heath ganz sicherlich als ein Fräulein bezeichnet hätte), war allein und ohne erkennbares Ziel durch die Straßen geschlendert. Es war die Brompton Road entlanggewandert, hatte bei Harrods die Schaufenster angeschaut und sich später im
Bunch of Grapes
einen Imbiss gegönnt. Dann war es nordwärts gewandert, Richtung Kensington Gardens, doch anstatt den Park zu betreten, hatte es den Weg Richtung Notting Hill eingeschlagen. Vor der High Kensington Station waren dem Mädchen einige Teenager über den Weg gelaufen, die es zu kennen schienen. Sie hatten nur belanglose Worte gewechselt (Worte, die das Mädchen nicht sonderlich zu interessieren schienen) und einer von ihnen, ein junger Mann mit dem Emblem eines noblen Privatcolleges auf der Krawattennadel, hatte das Mädchen bei seinem Namen gerufen: Heaven.
    Der nächtliche Verfolger, der gute Ohren und scharfe Augen hatte, fand, dass dies ein seltsamer Name für eine junge Frau war, doch gehörte es nicht zu seinen Aufgaben, sich den Kopf über Namen und derlei Dinge zu zerbrechen. Namen waren nichts als Schall und Rauch. Und er wollte nichts anderes als ihr Herz.
    Das Mädchen war vor Nr. 16 Phillimore Place stehen geblieben und hatte zum Dach hinaufgeblickt. Dann fingerte es am Türschloss herum. Zweifelsohne verschaffte es sich Zugang zu einem Haus, in dem es nichts verloren hatte. Es huschte dennoch durch die Tür.
    Der Lumpenmann und Mr Drood, wie sich der große Mann nannte, wenn er in Kensington unterwegs war, hatten all das beobachtet. Sie waren ihr gefolgt, wie Raubtiere in der Nacht. Durch die Tür, ins Haus, die Treppen hinauf, bis auf das Dach.
    Aus dem Rucksack, den sie mit sich trug, hatte sie einen langen Gegenstand genommen. Es war ein Teleskop, das sie in Windeseile auf dem Dach des Hauses aufgebaut hatte. Sie hatte dort gestanden und den Himmel beobachtet. Immerhin gab es hier Sterne.
    Dann waren Mr Drood und der Lumpenmann bei ihr gewesen. Sie hatte sie nicht nahen gehört. Niemand tat das. Mr Drood und der Lumpenmann waren wie die Katzen der Nacht, ihre Stiefel wie Samtpfoten. Wenn jemand verschwiegene Dienste verlangte, dann rief man nach Mr Drood oder einem der vielen anderen Namen, auf die er ebenso hörte. Man teilte ihm flüsternd den Auftrag mit und er erledigte, was man ihm auftrug. Herzen zu stehlen, gehörte dazu.
    Mr Drood war listig. Stets arbeitete er mit einem, der die Fährte zu wittern vermochte. Dieser Lumpenmann hier würde bald zerfallen, dann müsste er sich einen neuen erwählen.
    Nun denn, die Friedhöfe waren voll von ihnen.
    Das Leben, dachte Mr Drood, konnte so einfach sein. Seltsam, dass niemand sonst das erkannte.
    Er gestattete sich ein Lächeln auf den dünnen
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