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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit
Autoren: Hakan Nesser
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ein schmaler Spalt lässt die Welt hinein. Er bittet Maertens, sich auf die andere Seite des Schreibtisches zu setzen, und lässt ihn nur wenige Sekunden im Ungewissen.
    Krebs. Verrucae Silbermann. Im ziemlich fortgeschrittenem Stadium, er hätte früher kommen sollen. Eine Bestrahlung hilft meistens, zumindest bremst sie den Verlauf. Was abhängig ist von dem Grad der Metastasierung. Er braucht sich nicht einweisen zu lassen, es genügt, wenn er anfangs einmal die Woche kommt. Seiner Arbeit kann er nach wie vor nachgehen, vielleicht um ein Viertel reduzieren ... Es wäre möglich, am nächsten Donnerstag mit der Behandlung zu beginnen.
    »Nein, danke«, sagt Maertens.
    Der Arzt schaut ihn forschend an. Sowohl mit seinem gesunden als auch mit seinem kranken Auge.
    »Haben Sie sich das auch gut überlegt?«
    »Ja«, antwortet er. »Ich habe mich dazu entschlossen.«
    »Nun ja, dann muss ich Ihre Entscheidung natürlich respektieren. Darf ich Ihnen wenigstens eine Zigarre anbieten?«
    Maertens lehnt ab. Der Arzt nickt und steht auf. Sie geben sich die Hand, und Maertens verlässt ihn. In der Tür bleibt er stehen und stellt eine Frage.
    »Lehnen eigentlich viele die Behandlung ab?«
    Der Arzt zündet sich seine Zigarre an und stößt eine Rauchwolke aus, bevor er antwortet.
    »Jedes Jahr werden es mehr. Immer mehr ... können Sie das verstehen?«
    Er selbst scheint nicht besonders verwundert darüber zu sein.
    »Lassen Sie von sich hören, wenn Sie Ihre Meinung ändern sollten«, sagt er dann, gerade als Maertens die Tür hinter sich zuzieht.
     
     
    Er schreibt. Abends und in der Nacht schreibt er jetzt endlich den Schluss. Er weiß, was er nicht hinterlassen kann, was er zu Ende führen muss, und das alte Drama ist eines der ersten Dinge.
     
    Ihr, die erblasst und bebt bei diesem Fall,
Und seid nur stumme Hörer dieser Handlung
Hätt ich nur Zeit – der grause Scherge Tod
Verhaftet schleunig – o ich könnt euch sagen!
Doch sei es drum. – Horatio, ich bin hin;
Du lebst; erkläre mich und meine Sache
Den Unbefriedigten.
     
    Doch die Norweger und die englischen Gesandten will er nicht vorlassen, dazu hat er sich schon vorher entschieden. Er wusste es von Anfang an, denn der Meister hat einen Missgriff getan, als er das Geschehen weiterlaufen lässt nach dem
     
    Schweigen!
     
     
    Das Aquarium ist die zweite Sache. In diesem Punkt ist er bedeutend unsicherer. Er erwägt mehrere denkbare, alternative Lösungen, doch zum Schluss spült er es durch die Toilette. Hofft, dass die kleinen Leben sich durch die Drainage zu einer Art neuem Leben fern von Abflussrohr und Klärwerk durchschlagen können. Zumindest geht Maertens davon aus.
     
     
    Das Dritte ist der Friedhof. Tage und Nächte schiebt er es hinaus, obwohl alles sonst vorbereitet ist. Obwohl er bereits zweimal auf dem Weg gewesen ist.
    Er weiß nicht, woher dieses Zögern kommt. Er spürt weder Unruhe noch Furcht, doch er weiß, dass er nicht schummeln darf. Er darf sich nicht zum falschen Zeitpunkt oder unter schlechten Bedingungen zum Grab begeben. Er wird es nur ein einziges Mal tun ... des Nachts, das ist ihm klar, seit er mit Nadja gesprochen hat. Vielleicht will er ja nur auf eine milde, versöhnliche Nacht warten. Ein paar Tage lang war das Wetter windig und rau. Vielleicht ist das allein der Grund.
     
     
    An das Vierte hat er gar nicht gedacht. Was natürlich merkwürdig ist. Birthe.
    Gerade als der milde Abend kommt, als er endlich weiß, dass die rechte Zeit gekommen ist, genau gegen zehn Uhr abends, als er soeben im Begriff steht loszugehen ... als er sicherheitshalber einen Extrapullover übergezogen hat, da ruft sie an. Er steht bereits mit der Hand auf der Türklinke da, und ebenso gut hätte er gar nicht drangehen müssen.
    »Du musst das herausgeben!«, sagt sie.
    »Wie bitte? Wovon redest du?«
    »Von dem Buch, das ich mir ausgeliehen habe. Schuld und Sühne. Du musst das drucken lassen. Es ist wahnsinnig gut!«
    Es ist ihm vollkommen entfallen, und einen Moment lang läuft er Gefahr, die Fassung zu verlieren. »Nie im Leben!«, ist das Einzige, was er herausbringt.
    »Bitte, Maertens! Warum musst du so stur sein, das ist doch albern. Das Buch ist fantastisch. Wilmer hat es auch gelesen, und er ist Feuer und Flamme. Er meint, es wäre dir gelungen, wie hat er das gesagt ... sowohl den Zeitgeist als auch die moralische Situation der Menschen einzufangen, ich glaube, so ähnlich war das!«
    »Liebe Birthe, das kommt überhaupt nicht
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