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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit
Autoren: Hakan Nesser
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in Frage!«
    Eine Weile bleibt sie stumm, dann kommt es.
    »Maertens, wir haben eine Idee. Ich wusste ja, dass du so reagieren würdest. Wilmer kauft dir das Manuskript ab und gibt es unter seinem eigenen Namen heraus. Die Gemeinde hat einen kleinen Verlag, du wirst überhaupt nicht hineingezogen. Sag ja, bitte, Maertens, es ist doch nicht richtig, den Menschen solche guten Bücher vorzuenthalten!«
    Zuerst sagt er gar nichts. Steht nur da und spürt, wie sich etwas in ihm rührt. Eine Art Wirbel.
    Schuld und Sühne, denkt er. Von Pastor Wilmer Hingsen. Der Verlag des Reinen Lebens. Warum nicht?
    »All right«, sagt er.
    »Du bist ein Schatz, Maertens!«
    »Aber mein Name darf in keinerlei Verbindung mit dem Buch erscheinen. In keiner Form ... und ich will das Geld in bar!«
    »Was? Ja, das lässt sich sicher machen ...«
    »Adieu, Birthe! Ich habe noch eine Verabredung.«
    »Adieu ... und danke, Maertens!«
     

41
     
    D er gleiche Ort, und doch nicht der gleiche Ort.
    Das Licht hat die Bedingungen geändert. Nicht nur das Licht der Nacht im Kontrast zu dem des Tages, da ist noch etwas anderes. Etwas darüber hinaus. Das Gelände selbst, wie es ihm scheint. Das Gelände des Friedhofs.
    Was einmal ein offenes Feld war – er erinnert sich noch gut an den Wind, wie dieser darüber hinwegfegte, und den Himmel, der bis ans Grab reichte –, ist jetzt eingeschlossen. Die großen düsteren Ulmen sind ausgeschlagen, das Laub hat ein Dach gebildet. Ein dunkles Dach, das nur eine dünne Lage Transparenz übrig lässt, bevor die Dunkelheit der Erde erneut alle Konturen schluckt.
    Es ist merkwürdig, dieses Segment grauen Lichts zwischen zwei Dunkelheiten. Was sich ein Stück oberhalb der Erde befindet, kann er ganz deutlich unterscheiden: Steine, Kreuze, Obelisken. Doch den Himmel sieht er nicht und auch nicht den Boden ... Er sieht seine eigenen Füße nicht, die er mit größter Sorgfalt und Vorsicht vorantreibt. Dennoch stößt er gegen eine Steineinfassung, die er unmöglich hat bemerken können, es fällt ihm schwer, auf den engen, geharkten Kieswegen zwischen den Gräbern zu bleiben ... Schließlich fällt er sogar kopfüber über eine Eisenkette, schlägt sich das Schienbein an einer Pforte, die jemand hat offen stehen lassen, stolpert über eine Kante. Aber dennoch kommt er voran. Lässt sich nicht zurückhalten.
    Hier und da stehen Lichter auf den Gräbern, aber diese kleinen Wegweiser scheinen eher die Dunkelheit in sich aufzusaugen als einen Lichtschein zu werfen. Als er sein eigenes Licht einschaltet, sieht er zwar seine Hand, die es hält, ganz klar, aber alles andere scheint sich zurückgezogen zu haben.
    Ich bin blind, denkt er. Ich muss den Weg zu Tomas Borgmanns Grab mit Hilfe meiner Hände finden. Meines Gefühls und meiner anderen Sinne.
    Welcher? Welcher Sinne?
    Ein leises Sausen in den Baumkronen kann er vernehmen. Das dumpfe Gurren schlafender Tauben auch. Das Knacken, das seine dicken Schuhe verursachen, wenn er sie auf dem Kies aufsetzt. Ein Auto, das draußen auf der Straße vorbeifährt, weit entfernt in einer anderen Welt.
    Er saugt die milde Nachtluft mit seinen Nasenflügeln ein. Es duftet nach Dunkelheit. Nach nichts anderem.
     
     
    Hier irgendwo, meint er sich zu erinnern.
    Er zündet seine Kerze wieder an und hält sie dicht an den Stein. Es stimmt. Hier ruht Tomas Borgmann. Nicht sein Vater, der einstmals so mächtige Bischof von Würgau. Auch nicht seine Mutter, bereits in jungen Jahren verschieden. Es ist kein Familiengrab. Allein Tomas Borgmann ist derjenige, der hier ruht. Warum hat er sich in K. beerdigen lassen?, wundert Maertens sich.
    Er bläst die Flamme aus.
     
     
    Mehr als eine Stunde lang steht Maertens am Stein. Nichts geschieht, außer dass sein Empfindungsvermögen langsam einschläft. Sein Körper entzieht sich, wie es scheint. Er spürt es nur wie ein stückweises Verschwinden. Gleichzeitig erfährt er die ganze Zeit eine große Befriedigung darüber, hier zu stehen. Er fühlt den rauen Stein unter seiner rechten Hand, sieht die unveränderlichen Silhouetten zwischen den beiden Dunkelheiten, und er wundert sich, dass er das noch nie zuvor gemacht hat. Warum machen Menschen so etwas nicht?, denkt er. Wir alle haben doch die Möglichkeit, einmal eine Nacht auf dem Friedhof zu verbringen. Warum tun wir das nie?
    Und auch andere Dinge. Warum liegen wir nie draußen im Regen? Warum schlafen wir nie zwischen Tieren?
    Warum vermeiden wir so sorgfältig all diese
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