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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit
Autoren: Hakan Nesser
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Atem, und er setzt sich auf den Boden, den Rücken an die sonnenwarmen Steine gelehnt. Er schaut zu der kleinen Baumgruppe auf der anderen Seite hinüber, und da stehen sie wieder. Dieses Mal nur zwei. Eine Stute und ein Fohlen. Struppig und langbeinig und vollkommen reglos.
     
    Unter dem Baum stehen die Pferde, träumend.
     
    Aus seiner Aktentasche holt er ein Bier heraus. So ganz ohne Proviant hat er sich doch nicht auf den Weg gemacht. Die kleine Gedichtsammlung von Barin hat er auch dabei. Zufällig schlägt er eine Seite gegen Ende des Buches auf. Er trinkt ein paar Schluck, zwinkert einige Male in die Sonne, während ihm das Bier Tränen in die Augen drückt, und dann liest er das Gedicht »Appell«. Wie beim letzten Mal bekommt er den intensiven Eindruck, der erste Leser überhaupt zu sein.
     
    Wie schlecht spiegeln sich doch die Sterne
in geronnenem Blut.
Opfert euer Leben am Morgen, die ihr sowieso
sterben sollt,
Damit unser Reinigungstrupp ausschwärmen kann
Und das Feld vor der Nacht säubert!
Versprecht uns das, wir sind Ästheten, wisst ihr.
Sagt, es spielt doch überhaupt keine Rolle,
Wenn ihr sowieso sterben werdet.
Wie schlecht spiegeln sich doch die Sterne
in geronnenem Blut
     
    . Er schaut auf die Uhr. Gerade erst ein Uhr. Die Sonne wärmt. Er packt das Buch wieder ein. Lehnt den Kopf gegen die Steine und spürt, wie sich im Körper eine angenehme Müdigkeit ausbreitet. Noch hat er Zeit, sich eine Weile auszuruhen. Noch stehen die Pferde ja dort unten.
    Er erkennt den alten Russen bereits von weitem. Noch während er sich am Fuße des Abhangs befindet, sich mühsam zwischen den Steinen und Mulden hocharbeitet, ist es ihm klar, wer das ist ... der lange Bart, das schüttere Haar über dem kahlen Schädel, das asketische Gesicht mit den prophetisch tiefen Augen. Es ist genau wie auf allen Portraits und Bildern. Ein weißes langes Hemd trägt er, das ihm teilweise aus der Hose hängt. Wie die Hosenträger, die fast über den Boden schleifen ... und Filzpantoffel! Es sieht aus, als hätte er sich soeben von seinem Mittagsschlaf auf dem Sofa am Sennája erhoben.
    Als er endlich angekommen ist, setzt er sich nicht. Er lehnt sich nur schwer gegen die Steine, stützt sich mit einer Hand ab und bohrt seinen Blick in den von Maertens.
    »Royalty!«, sagt er.
    Maertens gräbt in seiner Aktentasche und holt eine Hand voll Scheine hervor.
    »A rublei, niet?«
    »Niet ...«
    »Zhali.«
    Er nickt und nimmt zwei Bündel entgegen. Stopft sie sich in die Taschen und macht sich wieder auf den Weg den Abhang hinunter. Richtung Westen. Aufs Meer zu.
    Sicher will er noch vor dem Abend über der Grenze sein, denkt Maertens sich. Das Roulette im Kurhotel natürlich. Was sonst wäre zu erwarten?
    Er folgt ihm mit dem Blick und entdeckt plötzlich eine andere vertraute Gestalt, die sich aus der anderen Richtung nähert. In der kleinen Senke auf halbem Weg begegnen sie sich. Sie schütteln sich die Hände, wie er sieht, bleiben dort stehen und reden miteinander.
    Dann gehen sie auseinander, der Russe weiter dem Meer entgegen, der andere nähert sich.
    Langobrini, daran besteht kein Zweifel! Der kleine Italiener geht mit federndem Schritt und pafft an einer Papiyrossi, doch jetzt stört Maertens etwas im Gesicht.
    Etwas kitzelt ihn an der Nase. Ein paar Mal wedelt er es fort, doch es kehrt unerschütterlich immer wieder zurück. Noch nicht ganz aus den Fängen des Schlafes befreit, schlägt er kräftig zu.
    Er wacht sofort davon auf und stellt fest, dass er sich die Nase blutig geschlagen hat. Dicke dunkelrote Tropfen fallen auf sein Hemd. Er lehnt den Kopf zurück, kann dennoch nicht umhin, die Fliege wahrzunehmen, die auf seinem angezogenen Knie sitzt.
    Sie reibt sich das Hinterbein.
    Er drückt die Nasenflügel mit Daumen und Zeigefinger zu, beugt den Kopf vor und betrachtet sie.
    Sie lacht.
    Dann fliegt sie davon.
     
     
    Der Blutfluss will nicht versiegen. Eine Weile sucht er nach etwas, um es in die Nasenlöcher zu stopfen, findet jedoch nichts. Schließlich öffnet er seine Aktentasche und holt einen zerknitterten Schein heraus. Den reißt er durch und zerknüllt ihn in zwei kleine Kügelchen.
    Sie passen haargenau.
    Dann geht er weiter.
    Mit dem Wind schräg im Rücken und zehn Mark in der Nase setzt er seine Wanderung fort. Als er an den Pferden vorbeikommt, wiehern sie ihm zu und heben die Köpfe. Maertens hebt den Kopf zum Gruß, tritt aber nicht an ihr Gehölz heran.
    Aus der Entfernung sieht er bereits die
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