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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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meiner Tante nach Kolchis gehen. «
    »Du willst mit einem Säugling an der Brust eine solche Reise machen?« fragte Klytaimnestra erstaunt.
    Dann ging in Klytaimnestras Gesicht eine seltsame Veränderung vor. Ein überirdischer Friede erfaßte sie, und sie schien von innen zu strahlen. Eine vertraute Stimme sagte zu Kassandra:  »Ja, ich rufe dich in die Heimat. Verlasse diesen Ort auf der Stelle, meine Tochter.«  Kassandra verbeugte sich bis zur Erde. Die Göttin hatte gesprochen. Obwohl Kassandra nicht wußte, wie sie reisen oder was aus ihr werden würde, so stand sie doch wieder unter dem Schutz der Stimme, die sie gerufen hatte, als sie noch ein Kind gewesen war. Die alte Priesterin in Kolchis hatte gesagt:  Die Unsterblichen verstehen sich.
    »Ich bitte dich, erlaube mir, noch heute abzureisen«, sagte Kassandra.
    Und Klytaimnestra erwiderte: »Wir dürfen den nicht zurückhalten, den ein Gott ruft. Aber möchtest du dich nicht ausruhen, umziehen und etwas essen?«
    Kassandra schüttelte den Kopf. »Ich brauche nichts«, sagte sie und dachte an das Gold, das Agamemnon ihr geschenkt hatte. Von Klytaimnestra oder der Göttin hier wollte sie nichts annehmen. Noch in derselben Stunde machte sie sich auf den Weg.
    Sie ging mit dem Kind in ein Tuch gewickelt zum Hafen hinunter, wo sie ein Schiff fand, das sie und das Kind auf den ersten Abschnitt der langen, harten Reise um die halbe Welt mitnehmen sollte, an deren Ziel Kassandra die Eisentore von Kolchis und Königin Imandra wiedersah. Sie war nicht länger blind und der Sicht beraubt. Kassandra war wieder sie selbst, und nach all dem Leid wußte sie, die Göttin hatte sie nicht verlassen.
    Am Hafen trat eine Frau in einem zerrissenen erdfarbenen Gewand auf sie zu. Ihr Gesicht war von einem zerlumpten Tuch verhüllt.
    »Bist du die troianische Prinzessin?« fragte sie. »Ich bin auf dem Weg nach Kolchis, und ich habe gehört, du willst auch dorthin.« 
    »Ja, das stimmt, aber…«
    »Mein Ziel ist Kolchis«, wiederholte die Frau. »Ein Gott hat mich dorthin gerufen.Darf ich mit dir reisen?«
    »Wer bist du?«
    »lch heiße Zakynthia«, erwiderte die Frau.
    Kassandra blickte sie prüfend an, sah aber nichts. Vielleicht hatte das Schicksal ihr die Frau geschickt. Die Götter schienen jedenfalls keine Einwände zu haben. Selbst Klytaimnestra hatte daran gezweifelt, daß sie die lange Reise mit einem Säugling überstehen würde. Kassandra seufzte erleichtert, knotete das Tuch auf, in dem sie ihren Sohn trug, und reichte ihn der Frau.
    »Hier«, sagte sie, »du kannst ihn tragen, bis ich ihn wieder stillen muß. «

Epilog
    Die Frau war zurückhaltend und gehorsam, ja sogar untertänig. Sie sorgte für den Säugling, wiegte und beruhigte ihn. Kassandra wurde wieder seekrank und konnte ihrem Kind und der Frau nur wenig Aufmerksamkeit widmen, obwohl sie Zakynthia einige Tage unauffällig beobachtete - schließlich wußte sie nichts über die Frau -, bis sie sicher war, daß sie ihr vertrauen konnte und daß sie Agathon nicht schlecht behandelte oder vernachlässigte, wenn niemand es sah. Zakynthia versorgte den Kleinen gewissenhaft, sang ihm Lieder vor und spielte mit ihm. Sie schien kleine Kinder wirklich gern zu haben. Kassandra fand bald, sie habe großes Glück gehabt, eine gute Dienerin für ihr Kind zu finden, und beobachtete Zakynthia nicht mehr so genau.
    Trotzdem wurde sie den Eindruck nicht los, daß ihre Begleiterin nicht das war, was sie zu sein vorgab. Die Frau in dem zerschlissenen Gewand schien stark und gesund zu sein. Kassandra schätzte sie auf dreißig - vielleicht war sie auch älter. Im Umgang mit Kassandra war sie bescheiden; sie sprach jedoch mit einer rauhen, tiefen Stimme und benahm sich den Seeleuten und der Mannschaft gegenüber so ungezwungen wie eine Amazone. Eines Tages beobachtete Kassandra an Deck, als der Wind an Zakynthias Gewand zerrte, daß sie so gut wie keine Brüste und haarige, muskulöse Beine hatte. Das Gesicht wirkte, als habe es noch nie Schminke oder glättende Öle gesehen. Kassandra kam der Gedanke, Zakynthia sei vielleicht keine Frau, sondern ein Mann.
    Aber warum hätte sich ihr ein Mann in Frauengewändern anschließen sollen? Wenn es ein Mann war, wollte er sie vielleicht verführen. Doch wenn sie ihr Spiegelbild zufällig im Wasser sah; konnte sie sich nicht vorstellen, daß ein Mann sie begehren würde. Sie war blaß, trug zerrissene Kleider, und ihr Körper war immer noch von der Geburt gezeichnet. Sie schlief
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