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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin
Autoren: Barbara Goldstein
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Bestimmungen des Senats hast du mir den Schlüssel zum ›Königreich der Himmel‹ gegeben! Mein Streben nach Erkenntnis, nach Wahrheit, nach Freiheit begann in einer staubigen Dachkammer im Westflügel des Dogenpalastes!«

    »Ich will, dass du Tristan heiratest. Und ich will, dass du noch heute Nacht, bevor es zu spät ist, die Bücher verbrennst, die euch beide auf den Scheiterhaufen der Inquisition bringen können! Dich, weil du sie besitzt, ihn, weil er davon wusste.«
    Ich war zornig gewesen über seine Forderung. Verzweifelt. Traurig. Und doch wusste ich: Er hatte Recht. Was ich tat, war lebensgefährlich.
    Im Innersten aufgewühlt verließ ich den Palazzo Ducale und trat hinaus auf die Piazzetta.
    Verbrenne die Bücher! Verbrenne alles, was du bist, alles, was du sein willst, alles, woran du glaubst! Und dann wirf auch deine Freiheit auf diesen lodernden Opferaltar!
    Oder steig selbst auf den Scheiterhaufen!
    Was sollte ich tun? Die Bücher verbrennen und Tristan heiraten? Oder der Einladung des Papstes folgen und mit den Büchern nach Rom gehen? Einsam, aber frei.
    Der Regen hatte aufgehört, doch niemand hatte die umgestürzten Verkaufsstände auf der Piazza San Marco wieder aufgerichtet. Die regennasse Piazza war ein riesiger Spiegel, der das unter den letzten Sonnenstrahlen goldglühende Venedig reflektierte – ein zauberhafter Anblick, den ich schon oft von den Arkaden der Prokuratien aus bewundert hatte.
    Die beiden bronzenen Figuren auf dem Uhrturm neben der Basilika schlugen die große Glocke zur vollen Stunde – ein unheimliches Dröhnen angesichts der apokalyptischen Verwüstung. Am Himmelfahrtstag erschienen zu jeder vollen Stunde in einer der beiden Türen des Uhrturms die Heiligen Drei Könige, die sich vor der Madonna verneigten und dann durch die andere Pforte wieder verschwanden. So gern ich als Kind dieser bezaubernden Prozession der Figuren zugesehen hatte – an diesem Tag hatte ich keinen Blick dafür. Ich fror in meinem nassen Kleid und zitterte vor Verzweiflung und Zorn.
    An der gegenüberliegenden Seite, zwischen den Arkaden der Prokuratien und dem Krankenhaus von San Orseolo, verließ ich die Piazza San Marco. Hinter den Kirchen San Teodoro und San Gemignano, die die Westseite der Piazza begrenzen, bog ich in die Calle dell’Ascension ein und wandte mich nach rechts zur Kirche San Moisè. Dann folgte ich den Gassen, die immer wieder die Richtung ändern, über Brücken und Kanäle und kleine Plätze bis zum Campo San Stefano. Von dort waren es nur wenige Schritte zu meinem Palazzo am Canal Grande.
    Um diese Jahreszeit war der Campo ein blühender Garten. Doch der Sturm hatte viele Äste von den Bäumen gerissen, und der niederprasselnde Regen hatte die Blüten zerdrückt.
    Eine Schar Tauben flog auf, während ich den weiten Platz überquerte. Ich sah ihnen nach, wie sie sich in den wolkenschweren Himmel hinaufschwangen und hinter der roten Backsteinfassade der Kirche San Stefano verschwanden.
    Sie waren frei. Ich war es nicht.
    Menandros öffnete mir das Portal. Er hatte mich erwartet, weil er von Zaccaria Dolfins Diener wusste, dass ich nach der Zeremonie am Molo ausgestiegen war und offenbar noch mit dem Dogen gesprochen hatte.
    Er erschrak, als er mich sah: »Um Himmels willen, Celestina, wie siehst du aus?«, flüsterte er im vertrauten Griechisch. »Was ist geschehen?«
    »Nichts, Menandros. Noch nicht «, sagte ich leise. An ihm vorbei drängte ich ins Haus.
    »Tristan war vor einer Stunde hier und hat nach dir gefragt. Er schien nicht zu wissen, dass du beim Dogen warst.« Menandros verriegelte die Tür und folgte mir zur Treppe.
    »Pack die Reisetruhen! Im ersten Morgengrauen werden wir nach Rom reiten. Wir müssen die Bücher so schnell wie möglich vor der Inquisition in Sicherheit bringen. Ich werde mich unter den Schutz des Papstes stellen. Gianni wird nicht zulassen, dass Tristan bedroht wird, nur weil er von den Büchern wusste.«
    »Du zitterst am ganzen Körper. Alexia wird dir in deinem Schlafzimmer ein heißes Bad richten und dann deine Truhen packen: Hosen für den langen Ritt und die schönsten Kleider für den Empfang im Vatikan. Rom wird dir zu Füßen liegen! Ich kümmere mich um ein Boot, das unsere Pferde, die Reisetruhen und die Bücherkisten zur Terraferma bringt. Vielleicht kann Zaccaria Dolfin uns aushelfen: Er besitzt ein großes Boot. Dann helfe ich dir beim Packen der Bücher.«
    Als er ging, um die Abreise vorzubereiten, stieg ich die breite
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