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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin
Autoren: Barbara Goldstein
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Arbeitsraum, keine Dachterrasse, keinen Garten, keine Loggia, wo ich lesen, schreiben, denken, atmen, leben konnte.
    Eine Heirat mit dem künftigen Dogen hätte für mich den Verlust meiner unter großen Opfern erkämpften Freiheit bedeutet. Bisher war mein Geliebter für mich die Garantie meiner Selbstentfaltung jenseits aller strengen gesellschaftlichen Konventionen gewesen. Das Vertrauen, das Lieben, das Sehnen, das Umeinanderkämpfen war ein Spiel, das unser Leben interessant machte, uns zu immer neuen Ideen und Überraschungen anregte und niemals langweilig wurde. Wie sehr liebten Tristan und ich unsere Freiheit!
    Ich betrachtete den Ring an meiner Hand, einen lagunenblauen Topas, den verschlungene Ornamente aus Gold festhielten.
    »Ich werde dich lieben und ehren, bis der Tod uns trennt. Und jeden Tag meines Lebens will ich um dich kämpfen«, hatte er in jener Nacht gesagt, als wir mit feierlichem Schwur die Ringe tauschten.
    Liebe ist wie das Licht einer Kerze: Man kann es nicht festhalten – weder durch einen Ring noch durch ein Wort. Man muss das Licht entzünden, die Flamme hüten und vor dem Sturm bewahren. Denn wenn das Licht erlischt, ist es zu spät. Tristan und ich waren uns einig, dass wir einander nicht besitzen und uns nicht durch ein Eheversprechen aneinander binden, sondern jeden Tag aufs Neue suchen und finden und wieder verlieren wollten, um uns wieder auf die Suche zu machen. Und sollte eines Tages die hell lodernde Flamme der Liebe verloschen sein, würden wir einander die Ringe zurückgeben.
    »Weiß Tristan von unserem Gespräch?«, fragte ich, ohne mich zu Leonardo umzuwenden.
    »Nein, er hat keine Ahnung. Er hat mich um Rat gefragt, wie er sich dir gegenüber verhalten soll. Ich hielt es für das Beste, mit dir zu sprechen, bevor er es heute Nacht tut. Tristan hat Angst vor deinem Nein. Er fürchtet, dass es für immer zwischen euch stehen wird. Und dass er dich verlieren wird, wenn er dich um deine Hand bittet. Er liebt dich so sehr!«
    Ich wandte mich zu ihm um. »Aber offensichtlich liebt er mich nicht genug, um auf das Amt des Dogen zu verzichten.«
    »Du tust ihm Unrecht!«, versuchte Leonardo mich zu beschwichtigen.
    »Und er erwartet von mir, dass ich meine eigene Karriere als Humanistin aufgebe, um ihm die seine zu ermöglichen. Leonardo, ich habe heute Nachmittag eine Einladung des Papstes nach Rom ausgeschlagen.«
    Er war bestürzt. »Celestina …«
    »Als Dogaressa kann ich nicht mehr als Humanistin arbeiten und mit Gelehrten in aller Welt korrespondieren. Es ist mir nicht erlaubt, Bücher zu verfassen oder nach Istanbul oder Alexandria zu reisen. Ich darf keine Entscheidungen mehr treffen, keine eigene Meinung haben und meinem Gemahl, dem Dogen von Venedig, nicht widersprechen. Ich bin dann nicht mehr frei !«
    Traurig sah er mich an, denn er wusste, wie weh er mir tat. »Manchmal muss man Opfer bringen …«
    »Das sagst gerade du mir, Leonardo?«, unterbrach ich ihn. »Du, der Mann, der die Türken zurückgeschlagen und mit zwei Päpsten Krieg geführt hat, die Venedig ihre Souveränität und Freiheit nehmen wollten? Der Mann, der vor sechs Jahren in der Schlacht von Agnadello seinen besten Freund verlor – meinen Vater! Du, von allen Menschen ausgerechnet du, willst mir einreden, dass ich meine Freiheit aufgeben soll? Nein, Leonardo, ich habe zu kämpfen gelernt, bei meinem Vater und bei dir. Das Aufgeben habt ihr beide mich nicht gelehrt!«
    Leonardo schwieg betroffen.
    »Und Opfer habe ich gebracht!«, fuhr ich unbeirrt fort. »In den letzten Jahren ist mir alles genommen worden, was mir jemals etwas bedeutet hat. Mein Vater fiel im Krieg gegen den König von Frankreich, den Papst und den Kaiser. Er starb für die Freiheit Venedigs. Für meine Freiheit, Leonardo!
    Meine Mutter starb nur wenige Monate später an der Pest, die die Kriegsflüchtlinge aus dem eroberten Padua nach Venedig trugen. Dann verlor ich meinen gesamten Besitz an meinen Cousin Antonio und musste ins Exil nach Athen gehen. Aber ich habe gekämpft. Ich bin wieder in Venedig!«
    »Celestina, mein liebes Kind …«
    »Mein Vater hat mich gelehrt, dass man seinen Glauben nicht am Abend mit der Kleidung ablegt, um sich am nächsten Morgen für einen neuen zu entscheiden, der bequemer ist. Für seinen Glauben ist er in den Tod gegangen. Und auch ich glaube an die Freiheit des Menschen.«
    »Um Gottes willen! Celestina, ich bitte dich …«
    »Dir verdanke ich meinen Ruhm als Humanistin – gegen die
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