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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin
Autoren: Barbara Goldstein
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Dann würde er mich zur Ca’ Tron bringen und leidenschaftlich lieben.
    Versonnen lächelnd stieg ich die Treppe zur Dogenwohnung empor und betrat die Sala degli Scarlatti, das Vorzimmer für die Berater und Sekretäre des Dogen.
    »Er erwartet Euch«, erklärte mir sein Sekretär und öffnete mir die Tür zur Sala delle Mappe, deren Wände Landkarten der venezianischen Hoheitsgebiete auf der Terraferma und im östlichen Meer zierten.
    Der Saal war leer.
    Aus einem der hinteren Räume der Dogenwohnung vernahm ich das Prasseln eines Feuers, und so schritt ich weiter.
    Ich fand ihn in einem Sessel vor dem flackernden Kaminfeuer. Leonardo trug nicht mehr die goldgelbe Brokatrobe des Dogen, sondern einen weiten dunkelblauen Mantel mit Hermelinbesatz. Er wirkte erschöpft. Sein Gesicht war eingefallen – hatte er wieder Schmerzen? Achtundsiebzig Lebensjahre hatten tiefe Spuren in sein Gesicht gegraben.
    »Du wolltest mit mir reden, Leonardo.«
    »Setz dich, mein Kind!«
    Ich nahm auf dem Sessel gegenüber Platz, um mich vom Feuer trocknen zu lassen.
    Er starrte in die Flammen und schien nach den richtigen Worten zu suchen.
    »Du hast vorhin sehr ernsthaft mit Tristan gesprochen«, sagte ich in das Schweigen hinein.
    »In der Ratssitzung gestern Nacht ist Tristan zu einem der drei Vorsitzenden des Zehnerrats gewählt worden«, offenbarte er mir schließlich.
    Tristan hatte sein ehrgeiziges Ziel erreicht!, freute ich mich für ihn. Er war der einflussreichste Mann Venedigs, mächtiger als der Doge, der ihn all die Jahre gefördert hatte.
    In Venedig herrschte ein republikanisches Misstrauen gegenüber der Macht einzelner Adliger. Positionen im Zehnerrat und im Rat der Weisen wurden nur für ein Jahr vergeben – lediglich der Doge und die Prokuratoren wurden auf Lebenszeit ernannt. Die zehn Consiglieri dei Dieci wurden jedes Jahr vom Senat neu gewählt. Außerdem gehörten dem Rat der Doge und seine Berater sowie ein Verfassungsrichter an.
    Jeden Monat wählten die Ratsmitglieder drei Vorsitzende aus ihrem Kreis, die unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit Staatsverbrechen wie Hochverrat und Verschwörung gegen die Republik untersuchten oder außenpolitische Missionen leiteten.
    Die unbeschränkte Macht, die geheimnisumwitterten nächtlichen Sitzungen, die Geheimpolizei, die Denunziationen in den Bocche di Leone und vor allem die Angst hatten zur Folge, dass die anderen Senatoren die Consiglieri dei Dieci äußerst misstrauisch überwachten.
    »Ein Mitglied des Rats der Zehn muss über jeden Zweifel erhaben sein«, erklärte der Doge. »Vor einigen Tagen wurde ein anonymer Brief in die Bocca di Leone in der Loggia des Dogenpalastes geworfen. Tristan wird beschuldigt, eine Affäre zu haben.«
    »O mein Gott!«, entfuhr es mir.
    »Ja, das habe ich auch gesagt, als der Brief gestern Nacht im Rat der Zehn verlesen wurde. Eure Liebe kann Tristans Sturz bedeuten, das Ende einer glänzenden Karriere. Aber das ist noch nicht alles: Tristan soll die Signori di Notte bestochen haben. Dieser Vorwurf ist noch viel gefährlicher! Ein Consigliere nimmt Einfluss auf die Signori di Notte, deren Aufgabe es ist, nachts für die Sicherheit in den Straßen Venedigs zu sorgen! Und für das sittlich einwandfreie Verhalten der Venezianer.«
    Ich schwieg.
    Tristan und ich hatten doch von Anfang an gewusst, welche gefährlichen Folgen unsere Liebe haben konnte.
    »Die Dieci haben beschlossen, die Anschuldigung gegen einen der Ihren zu ignorieren. Der Brief war anonym. Dem Denunzianten ging es also nicht um die fünfzig Zecchini Belohnung. Er verzichtet auf ein kleines Vermögen! Eine Anklage vor dem Rat der Zehn war demnach nicht beabsichtigt.
    Offenbar sollte der Brief eine Warnung für Tristan sein. Und für dich. Eines ist gewiss: Niemand aus dem Zehnerrat hat ihn verfasst, denn Tristan ist in derselben Nacht zum Vorsitzenden gewählt worden. Alle haben ihm ihr Vertrauen ausgesprochen.
    Ich habe den Brief heute Morgen in Tristans Beisein verbrannt, während wir miteinander sprachen. Denn ich vermute, dass dies nicht der letzte Brief sein wird.«
    »Hast du Tristan verboten, mich wiederzusehen?«
    »Nein, Celestina, ganz im Gegenteil«, entgegnete Leonardo. »Ich habe ihn aufgefordert, dich endlich zu heiraten!«
    »Aber wir sind uns einig … ich meine: Wir haben einander versprochen, dass wir nicht heiraten wollen. Wozu denn auch? Wir sind glücklich.«
    »Ihr verstoßt gegen Anstand und Moral!«
    »Wir lieben uns!«
    Mit einer
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