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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin
Autoren: Barbara Goldstein
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kam zum Bug der Staatsgaleere, wo ich mit Baldassare auf ihn wartete. Den Ring, das Symbol der Herrschaft, hatte der Patriarch aus der Schatulle in der Rückenlehne des Throns genommen und feierlich gesegnet. Nun reichte er ihn mir auf einem Samtkissen. Ich löste die Bänder, die den kostbaren Goldring festhielten, und gab ihn dem Dogen.
    Gedankenvoll musterte er mich. Ahnte er, weshalb Baldassare nach Venedig gekommen war?
    Schließlich wandte er sich ab, um den Ring ins Meer zu werfen.
    »Desponsamus te, mare nostrum«, rief er laut, damit man ihn auch auf den anderen Booten und Gondeln hörte. »Wir vermählen Uns mit dir, o Meer, als Zeichen der wahren und ewigen Beherrschung.«
    Die Zuschauer jubelten. Viele umarmten sich stürmisch, und so manche Gondel schwankte gefährlich auf den Wellen.
    Dann sprangen die venezianischen Fischer ins Wasser, um nach dem Ring zu tauchen und ihn dem Dogen als Zeichen seiner Herrschaft über das Meer zurückzugeben. Immer mehr Männer stürzten sich lachend und prustend in die Wogen. Sie tauchten wieder auf, hielten sich keuchend an den Rudern des Bucintoro fest und verschwanden wieder.
    Dann hatte einer der Männer den Ring gefunden. Er hielt ihn triumphierend in der ausgestreckten Hand, schwamm zum Bucintoro und kletterte an Deck, um ihn dem Dogen zu bringen.
    Nach der feierlichen Zeremonie wurde das Dogenschiff zur Kirche San Nicolò auf dem Lido gerudert, wo Leonardo Loredan mit seinem Gefolge an Land ging, um dort die Messe zu besuchen.
    Während die Prokuratoren und Senatoren dem Staatsoberhaupt folgten und vor dem herannahenden Gewittersturm in die Kirche flohen, kam Tristan mir so nah, dass sich unsere Hände einen Herzschlag lang berührten.
    Was hatte der Doge ihm gesagt?, fragte ich mich beunruhigt. Und worüber wollte er mit mir sprechen?

    Die Blitze zuckten über Venedig, und der Donner dröhnte, als Zaccaria Dolfins Boot drei Stunden später, nach der Messe in San Nicolò, am Molo anlegte.
    Der Senator, der nur wenige Ruderschläge von meinem Palazzo entfernt am Canal Grande wohnte, hatte sich erboten, mich auf seinem Boot mitzunehmen. Er nahm an, dass ich auf dem schnellsten Weg nach Hause zurückkehren wollte. Doch während der Fahrt hatte ich ihn gebeten, mich an der Piazzetta abzusetzen.
    Baldassare hatte sich nach dem Gottesdienst im strömenden Regen von mir verabschiedet. Nun ließ er sich zur Terraferma hinüberrudern, um die Reise nach Mantua fortzusetzen.
    Am Landungssteg des Molo zog ich mir die hohen Zoccoli aus und huschte über die regennassen Stufen an Land. Der Bucintoro hatte bereits wieder abgelegt und war auf dem Weg zurück ins Arsenale.
    Ich raffte meinen Rock und rannte durch den niederrauschenden Regen über die Piazzetta zur Porta della Carta. Wegen des Gewitters war es so dunkel, dass ich hinter der Basilika und dem Campanile kaum den Uhrturm am Eingang zur Merceria, der Straße der Händler zwischen San Marco und dem Rialto, erkennen konnte.
    Viele Verkaufsstände, die jedes Jahr an Himmelfahrt auf der Piazza San Marco aufgebaut wurden, hatte der Wind umgeweht. Bunte Sonnensegel flatterten haltlos im Sturm, und die Regenfluten hatten die angebotenen Zuckerwaren mit sich gerissen.
    Ein kleiner Crucifixus wurde von den umgestürzten Reliquienständen in Richtung Molo geschwemmt. Er schwankte auf den Wellenwirbeln zwischen den Pflastersteinen, wurde herumgeworfen und weiter fortgerissen. Ich hob ihn auf, bevor er in die Lagune gespült wurde.
    Dann durchquerte ich den von Fackeln erhellten Torgang des Palazzo Ducale.
    Während ich die Treppe zur Loggia hinauflief, warf ich einen Blick hinauf zu meinem ›Königreich der Himmel‹, jener staubigen Dachkammer, in der ich so viele Nächte meiner Kindheit verbracht hatte.
    In der Loggia hielt ich einen Augenblick inne. Ich war tropfnass. Meine aufgesteckten Haare hatten sich gelöst und fielen mir über die Schultern. So konnte ich unmöglich vor dem Dogen erscheinen!
    Nachdem ich meine Haare geordnet und zu einem Knoten gebunden hatte, schlüpfte ich wieder in die hohen Zoccoli und eilte an der Bocca di Leone vorbei zur Treppe zu den oberen Stockwerken.
    Im Palast wurde das abendliche Bankett vorbereitet. Von der Küche wehte ein betörender Duft nach frischem Brot zu mir herüber. In der Sala del Maggior Consiglio, wo das Festessen stattfinden sollte, übte ein Musiker auf der Geige ein fröhliches Lied. Wie ich mich auf diesen Abend freute! Tristan und ich würden die ganze Nacht tanzen.
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