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Der schlaue Pate

Der schlaue Pate

Titel: Der schlaue Pate
Autoren: Volker Schnell
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Prolog
    Ein Tag zwischen den Jahren …
    … sollte sich, aus heiterem Himmel, als letzter im Leben einer wunderschönen Frau erweisen.
    Sie hieß Ellen Kaiser, und in ihren letzten Minuten saß sie auf dem Beifahrersitz eines Kleinwagens neben dem Mann, mit dem sie gerade in ihrer Schrebergartenlaube geschlafen hatte. Dies geschah in Melsungen, einem hübschen Fachwerkstädtchen, romantisch gelegen im kurhessischen Bergland, etwa dreißig Kilometer südlich von Kassel. Es war ziemlich kalt gewesen, denn draußen schneite es zum zweiten Mal in diesem Winter, und der alte Ofen hatte gegen die Kälte nicht viel ausrichten können. Aber das hatten sie dann selbst geschafft.
    Ellen war nicht mehr jung, doch sie alterte edel, wie ein besonders guter Wein. Auch hätte sie mit ihren hundertachtundsechzig Zentimetern niemals Model werden können, und sie hatte nur wenig Busen und Hintern aufzuweisen. Trotzdem gab es noch immer Leute, die sie sprachlos anstarrten. Denn ihr Gesicht war einzigartig. Ihre Augen waren sehr groß und sehr blau. Ihre Lippen waren aufgeworfen, perfekt geformt, sehr voll und sehr rot.
    »Penis-Mund«, sagte Ewald dazu, worüber Ellen jetzt, als sie einträchtig nebeneinander im Auto schwiegen, grinsen musste. Wenn sie lachte, strahlten ihre Zähne sehr weiß. In einer populärwissenschaftlichen Sendung wurde einmal erklärt, erzählte Ewald gern, dass Männer bei Frauengesichtern immer auf bestimmte Dinge achten, die auf besondere Fruchtbarkeit hindeuten sollen. Das computergenerierte perfekte Gesicht, das dort vorgeführt wurde, sei ihrem ziemlich ähnlich. Und dieses Gesicht stecke auch noch unter einer blonden Mähne, die an sich schon der reinste Hingucker sei, sagte Ewald gern, der gerade auf den Parkplatz gegenüber dem Eulenturm bog, wo er bei ihren heimlichen Treffen immer auf sie wartete und wohin er sie danach zurückbrachte.
    Ellen war eine alleinerziehende Vollzeitmutter, durchaus mit Stolz, und zwar, wie Ewald immer sagte und wie sie auch selbst fand, eine richtig gute. Sie hatte zwei Mädchen und zwei Jungs, von zwei Vätern. Die Älteste hatte das zweitbeste Abitur ihres Jahrgangs gemacht und studierte in Münster. Die Zweite ging auf dasselbe Gymnasium, der ältere Junge auf die Grundschule, der kleine noch in den Kindergarten. Wenn sie länger gelebt hätte, hätte sie ein Dutzend Enkel auf dem Schoß halten können.
    Als Ellen nach einem letzten, innigen Kuss aus dem winzigen silbergrauen Daihatsu Cuore stieg, mit dem Ewald diesmal gekommen war, damit nicht etwa jemand seinen großen Mercedes   SUV   erkannte, hegte sie sogar die Hoffnung, soeben ein fünftes Kind gezeugt haben zu können. Noch ein Kind, diesmal von Ewald, das wäre schön. Sie konnte seinen Samen noch in sich spüren. Der letzte Kuss hatte nach dem Whisky geschmeckt, den er idiotischerweise noch trinken musste.
    Nicht, dass sie in ihn verliebt gewesen wäre. Ewald war kein attraktiver Mann, aber ein hochintelligenter, gebildeter und sanfter Mensch; nur wenn sie ein Treffen absagte, was in all den Jahren zu oft vorgekommen war, oder mal wieder einen anderen Mann beichtete, rastete er aus, drängte und flehte und bekam schließlich Weinkrämpfe. Danach klingelte ständig das Telefon, bis sie es ausschaltete. Aber wenn er es nach einem solchen Vorkommnis mal schaffte, länger nicht anzurufen, dann schrieb sie ihm einen Brief, weil sie sich doch wieder nach ihm sehnte.
    In dieser Nacht hatte es zum ersten Mal tatsächlich geklappt, und sie hatte sich auch alle Mühe gegeben; Potenz gehörte ebenfalls nicht zu Ewalds starken Seiten. Über dieses Wortspiel lächelte sie, als sie dem Wagen nachwinkte und die etwa fünfhundert Meter bis zu ihrem Haus in Angriff nahm.
    Im Schnee sahen die Fachwerkhäuser im Zentrum noch romantischer aus als sowieso schon. Halb zwei Uhr morgens, und in Melsungen war kein Mensch mehr auf den Straßen, in keinem der Fenster brannte Licht.
    Ellen Kaiser brauchte bloß die Mauergasse entlangzugehen und hinter der Fußgängerzone links abzubiegen, dann war es eines der ersten Häuser. Sie hoffte gerade, dass die Kinder alle im Bett wären, damit niemand merkte, wie spät sie nach Hause kam, als es passierte.
    Die Kinder waren alle im Bett gewesen, und weil Weihnachtsferien waren, fiel am nächsten Morgen erst gegen halb zehn auf, dass die Mama nicht zurückgekommen war. Sophie, die älteste Tochter, probierte dann noch eine Stunde ergebnislos, sie über Handy zu erreichen. Zwischendurch
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