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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin
Autoren: Barbara Goldstein
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macht mir meine Aufgabe nicht gerade leicht!« Er senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Ich soll dich überreden, endlich nach Rom zu kommen. Ich handele in allerhöchstem Auftrag.«
    Vergnügt lächelte ich über den Machtkampf zwischen dem Papst und mir. Mein letzter Brief an Giovanni de’ Medici mit den Manuskriptabschriften meines Buches hatte ihn offenbar beeindruckt. Und jetzt schickte Seine Heiligkeit den tapferen Helden Baldassare an die Front.
    »Was soll ich in Rom?«, fragte ich.
    »Celestina, ich bitte dich! Die berühmtesten Künstler, Gelehrten und Humanisten sind in Rom – Raffaello, Michelangelo und Leonardo. Und ich schreibe mein Libro del Cortegiano , das der Papst als ein Glaubensbekenntnis der Selbstbestimmung bezeichnet.«
    »Ich kann und will nicht für Papst Leo arbeiten. Denn das wäre Verrat an meinem Vater, der im Kampf gegen seinen Vorgänger fiel, Papst Julius den Eroberer. Giacomo Tron starb mit dem Schlachtruf Libertà ! auf den Lippen.«
    »Du schlägst die Bitte Seiner Heiligkeit aus, obwohl du eine Medici bist.«
    »Die Familie meiner Mutter, die Iatros, sind der Athener Zweig der Florentiner Medici. Sie leben schon seit der Zeit vor Cosimo de’ Medici in Athen. Der Papst und ich sind also nur sehr entfernt verwandt.«
    »Er schätzt dich als große Gelehrte. Dein Manuskript hat ihn begeistert: ›Wann ist der Mensch zutiefst menschlich? Wenn er leidet und doch liebt. Wenn er hasst und trotzdem vergibt‹, hast du geschrieben. ›Das ist das Credo der Humanitas, der Menschlichkeit und der Moral!‹, rief Seine Heiligkeit. ›Das ist prägnanter als die Bergpredigt!‹ Er nennt dich seine Evangelistin.«
    »Sag ihm: Es geht noch prägnanter. ›Lebe und liebe! Und verschenke niemals deine Freiheit!‹ Nein, Baldassare, ich werde meine Unabhängigkeit nicht aufgeben. Nicht für Rom, nicht für die Kirche, nicht für den Papst.«
    Der Doge und sein Gefolge hatten uns erreicht.
    Leonardo Loredans Blick war ernst – wie vor einer Stunde, als er mir verkündet hatte, dass er nach der Zeremonie mit mir reden wollte.
    Erneut fragte ich mich: Was war geschehen? Weshalb war er so besorgt um mich?
    Als der Doge Baldassare an meiner Seite erkannte, blieb er stehen, um ihn zu begrüßen: »Ich wusste nicht, dass Ihr in der Serenissima weilt, Exzellenz!«
    Baldassare verneigte sich tief. »Erst seit einer Stunde, Euer Hoheit!«
    »Dann vergebe ich Euch, dass Ihr mich nicht sofort nach Eurer Ankunft aufgesucht habt. Celestina hat mir einige Seiten Eures Libro del Cortegiano zu lesen gegeben. Es freut mich, dass Ihr das Buch nicht in Rom, sondern in Venedig veröffentlichen wollt. Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr die Vermählung mit dem Meer vom Bucintoro aus beobachten würdet.«
    Baldassare verneigte sich. »Mit dem größten Vergnügen!«
    Leonardo Loredan legte seine Hand auf Tristans Arm. »Darf ich Euch Tristan Venier vorstellen, Exzellenz? Signor Venier ist Mitglied im Rat der Zehn.«
    Während der Doge Baldassare erklärte, dass der Consiglio dei Dieci als Geheimdienst mit richterlicher Gewalt das Recht hatte, gegen jeden zu ermitteln, der die Sicherheit der Republik von San Marco zu gefährden drohte, streichelte Tristans Blick mein aufgestecktes Haar, meine nackten Schultern, versank im Ausschnitt meines Kleides und umschmeichelte meine Taille.
    »Sehen wir uns heute Nacht?«, flüsterte er, während er meine Hand küsste und dabei mit dem blauen Topasring spielte, den er mir geschenkt hatte. Als ich lächelte, hauchte er: »Ich habe dafür gesorgt, dass du während des Banketts heute Abend neben mir sitzt. Dann werden wir tanzen, bis der Tag erwacht. Und dann …« Er seufzte verzückt, wie er es manchmal tat, wenn ich ihn an sehr intimen Stellen streichelte.
    »Ich freue mich auf dich«, flüsterte ich zurück und verbarg meine Vorfreude auf eine stürmische Nacht mit Tristan hinter einem formvollendeten Lächeln.
    Seit meiner Rückkehr aus dem Exil in Athen zwei Jahre zuvor war es uns gelungen, unsere Liebe geheim zu halten. Die Enthüllung einer skandalösen Affäre hätte das Ende von Tristans glänzender Karriere als jüngstes und einflussreichstes Mitglied des Consiglio dei Dieci bedeutet.
    Doch auch für mich, die ich mir meinen Weg in die Freiheit und Selbstbestimmung hart erkämpfen musste, wäre dies ein vernichtender Schlag gewesen. Dass ich als Frau gebildet war und fließend Lateinisch, Griechisch, Französisch und Arabisch sprach, war für die
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