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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin
Autoren: Barbara Goldstein
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sich selbst, den Menschen und sein Handeln, die Welt, wie sie ist, und am Ende Gott. Ehrlich gesagt: Ich beneidete Tristan um seinen Seelenfrieden. Er musste nicht jeden Tag aufs Neue um seinen Glauben kämpfen.
    Ich würde nach Rom gehen, die Bücher in Sicherheit bringen und in Ruhe überlegen, was ich künftig tun wollte. Venedig für immer zu verlassen, um wieder ins Exil zu gehen – ein furchtbarer Gedanke!
    Mit Tränen in den Augen erhob ich mich von meinem Stuhl, entzündete die Kerzen im silbernen Leuchter und begann, die kostbaren Bücher, die ich nach Rom mitnehmen wollte, auf einem Tisch in der Mitte des Raumes aufzustapeln.
    Ich zog Marsilio Ficinos Theologia Platonica aus dem Regal. Diesen Folianten brauchte ich, um mein Manuskript fertig stellen zu können. Da ich nicht wusste, ob Gianni das Exemplar, das sich vor Jahren in der Bibliothek des Palazzo Medici in Florenz befunden hatte, nach seiner Wahl zum Papst nach Rom mitgenommen hatte, musste ich es einpacken. Marsilio Ficino war Giannis Lehrer gewesen – wie Giovanni Pico della Mirandola.
    »Dein Bad ist eingelassen, Celestina.«
    Menandros stand in der Tür und beobachtete mich. Dass ich nackt war, war weder ihm noch mir peinlich. Es war nicht das erste Mal, dass er mich so sah – oder ich ihn. In den eisig kalten Wüstennächten auf dem Weg zum Katharinenkloster waren wir uns sehr nah gekommen. Menandros war mehr als nur mein Sekretär. Er war ein vertrauter Freund.
    »Alexia erwartet dich in deinem Schlafzimmer. Sie hat deine Reisetruhen gepackt.«
    »Ich bin noch lange nicht fertig.«
    Ich zog ein weiteres Buch aus dem Regal, doch Menandros nahm mir den Folianten aus der Hand und umarmte mich tröstend. »Während ich die Bücher einpacke, die du in Rom benötigst, solltest du dich von Alexia verwöhnen lassen. Wir haben eine anstrengende Reise vor uns.«
    Ich lehnte mich gegen ihn und ließ mich von ihm umarmen. Dann hauchte ich ihm ein »Evcharistó« auf die Wange und ging in mein Schlafzimmer, das sich direkt neben meiner Bibliothek befand.
    Alexia, meine griechische Dienerin, die mich von Athen nach Venedig begleitet hatte, kümmerte sich rührend um mich. Sie half mir in die Wanne und goss Rosenöl ins Badewasser.
    Mit geschlossenen Augen räkelte ich mich im heißen Wasser und dachte an Tristan.
    Ich konnte nicht abreisen, ohne ihn noch einmal gesehen zu haben. Ich betrachtete den Topasring an meinem Finger – den Ring, der uns zu einem Paar machte, in Glück und Unglück … aber auch in Lebensgefahr?

    Die Glocke von San Stefano schlug Mitternacht, als ich mich in den Sattel schwang. Menandros reichte mir die Zügel meines Pferdes, dann stieg auch er auf. Im Licht der Fackeln schimmerte der Griff seines Degens.
    Nachts waren die Straßen von Venedig selbst für Reiter mit schnellen Pferden gefährlich. In jeder dunklen Gasse konnten Angreifer lauern. Obwohl die Signori di Notte nachts für Ruhe und Sicherheit sorgten, gab es seit dem Krieg so viele Flüchtlinge vom Festland, dass die Straßen unsicher geworden waren und viele dunkle Canali abseits des hell erleuchteten Canalazzo nachts mit Ketten gesperrt wurden.
    Menandros und ich trabten über den Campo San Stefano. Das vorgeschriebene Schellenhalsband zur rechtzeitigen Warnung der Fußgänger – in den letzten Jahren hatte es in den engen Gassen viele schwere und sogar tödliche Unfälle gegeben – war den Pferden abgenommen worden. Wir mussten uns an drei Signori di Notte vorbeischleichen, die für die Stadtsechstel San Marco, San Polo und Santa Croce verantwortlich waren.
    Hinter der Augustinerkirche San Stefano überquerten wir den Campo San Angelo. Dann tauchten wir in die Finsternis der engen Gassen ein, die zum Campo San Luca führten. Dort wandten wir uns nach links in die Calle del Carbon und erreichten den Canalazzo. Leise schwappten die Wellen gegen die mit Algen bewachsenen Fondamenti und Bootsstege mit den festgemachten Gondeln.
    Wir hatten den Ponte di Rialto erreicht. Wie ich erwartet hatte, waren die hölzernen Zugbrücken in der Mitte des Ponte hochgezogen, und die Rialtobrücke, die einzige Verbindung zwischen dem Sestiere di San Marco, wo ich wohnte, und dem Stadtteil Santa Croce, wo sich die Ca’ Venier befand, war unpassierbar. Es gab nur diesen einen Übergang über den Canalazzo. Und wie jede Nacht wurde er von zwei Bewaffneten bewacht. Denn wenn der hölzerne Ponte di Rialto brannte, würde, wie vor einigen Jahren, auch der Fondaco dei Tedeschi, das
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