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Abdruecker (Splattergeschichten)

Abdruecker (Splattergeschichten)

Titel: Abdruecker (Splattergeschichten)
Autoren: Ella Bach
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Abdrücker
4:57 Uhr morgens
     
    Beinahe in dem Moment, in dem sich die Lippen des schlanken Frauenkörpers von ihm lösten, wusste der Fernfahrer, wie er darauf reagieren würde. Es hatte etwas mit dieser samtigen Wärme zu tun, die das Stickige der Fahrkabine heimelig gemacht hatte mit seinem Geruch nach abgestandenem Zigarettenrauch, verbranntem Diesel, altem Fett und Staub. Es war auch das Bewusstsein, dass er niemals mehr danach eine vergleichbare Frau so spüren würde, jung, feingliedrig, mit diesem Flaum von Sexualität. In diese Empfindung färbte sich die Einsamkeit dieser Winternacht. Es war die emotionale Leere nach dem Pochen des Adrenalins.
    Es mochte fünf Uhr morgens sein, überlegte er, aber als er aus dem Führerhaus in die Schneelandschaft hinaus blickte, war es ihm, als gebe es kein Jetzt, keine Vergangenheit und keine Zukunft. Als Fernfahrer aus dem Ruhrpott fühlte man sich hier in der Einöde fremd. Es gab keine anderen Referenzpunkte als den gebrochenen Soldaten, der hierher in die Weiten Russlands verbracht wurde, um von Bolschewiken gequält zu werden und zu sterben, oder den Verbannten, der jenseits der Bahnlinien keine Hoffnung hatte, dieser Wüstenei wieder zu entkommen. Es war ein gesetzloses Land und würde ein gesetzloses Land bleiben, und wenn man es tagelang auf schnurgeraden Bahnen durchkreuzte, machte das etwas mit einem. Aber das merkte man erst später.
    Es hatte etwas damit zu tun, dass er die Frau geschändet hatte. Sie lag reglos da und weich, aber es war, als wäre etwas aufgeplatzt und faulig. Und das war er selber. Wie der Flaum auf der Leiche eines Vogels, zerrissen von einer Pranke, war diese junge Frau. Dazu gehörte diese Stimmung in der fremden, feindlichen Umgebung, diese Frontstimmung, die ihn mit einem Mal erfasst hatte. Hier irren die Geister erschossener Soldaten, dachte er, und hörte das Heulen des Windes über einer unendlichen verschneiten Einöde. Und zu dieser Frontstimmung gehörte letztlich auch die Geilheit von vorhin, sich wie ein Frontschwein an dieser Schönheit zu bedienen. Was er auch getan hatte.
    Wer war die Frau? Woher wer sie gekommen? Plötzlich, als er gehalten hatte, um seine Blase zu erleichtern, hatte sie da neben ihm gestanden, hinter einer Schneewehe hervor gekrabbelt, als sei sie vom Himmel gefallen. Warum war sie denn auch in sein Führerhaus gestiegen in dieser gottverlassenen Gegend? Sie hatte gefroren, mit blauroten Händen und einem rot verschwollenen, ebenmäßigen Gesicht. Sie sprach kein Deutsch, aber sie versuchte es auf Englisch, und er konnte nicht einmal das. Seitdem sie in die schale Wärme dieses Führerhauses gekommen war, hatte sich diese Atmosphäre ausgebreitet, war entzündlich geworden.
    Jedes Mal, wenn er zum Landsitz des Herrn fuhr, war da die Überlegung gewesen, sich auf dem Weg eine Frau in den Wagen zu nehmen. Aber er hatte davor zurückgescheut. Er hätte auch diese Frau in Ruhe gelassen, wenn sie anders gekleidet gewesen wäre, aber der Pelzmantel, den sie trug, passte zu einem russischen Hürchen, umso reizvoller, da sie das Bild eines kultivierten, bewussten Wesens aufwies. Der Pelzmantel passte zum Eindruck einer zivilisierten Person, und die Stiefel waren gutes Material, aus dem Westen. Das der Herr diese Kreatur ausstaffiert haben könnte, darauf war er erst gar nicht gekommen, denn der Landsitz lag Stunden von hier entfernt. Der Fernfahrer konnte sich nicht erklären, warum er hier gehalten hatte, es war Steppenfieber, ewige Stunden in der Dunkelheit und im Weiß, die ihn erfasst hatte. Es mochte auch Steppenfieber gewesen sein, das ihn dazu gebracht hatte, die Frau in die Kabine zu schleifen und zu vergewaltigen. Sie hatte versucht, mit ihm zu sprechen, sie hatte sich gewehrt, zögerlich erst, und dann schweigend mit ihm gekämpft. Aber dann hatte sie nachgegeben. Das Spiel war zu ungleich. Sie war klein und zierlich, und er überragte sie nicht nur, er war dreimal so schwer. Sie ließ es zu, weil sie darauf hoffte, mit ihm wenigstens bis nach Polen zu kommen, oder sogar nach Deutschland, oder noch weiter in den Westen. Paris! Vielleicht war sie auch einfach bereit dazu, den Preis dafür zu zahlen. Er glaubte dergleichen in ihrem Gesicht zu lesen, als sie nun nach vollbrachter Tat an ihm vorbei ins Freie glitt, der reglos auf dem Fahrersitz saß und ins Dunkel starrte. Ihr Spiegelbild blitzte in der Scheibe auf, und dann kam ein kalter Schwall Luft ins Führerhaus, als sie die Tür öffnete.
    Draußen
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