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Schwiegertöchter (German Edition)

Schwiegertöchter (German Edition)

Titel: Schwiegertöchter (German Edition)
Autoren: Joanna Trollope
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Kapitel 1
    Von der vordersten Kirchenbank aus hatte Anthony freie Sicht auf den Rücken des Mädchens, das seine dritte Schwiegertochter werden sollte. Der breite Mittelgang der Kirche endete in einem großzügigen, mit Teppich ausgelegten Raum unterhalb der flachen Stufen zum Altar, auf denen die vier kleinen Brautjungfern während der Ansprache in die rosafarbenen Nester ihrer Seidenröcke niedergesunken waren, so dass Anthony ungehindert auf das Brautpaar sehen konnte.
    Die Braut, hauteng in elfenbeinfarbenen Satin gehüllt, schien Anthony die verführerische Ausstrahlung einer an Land gefangenen Meerjungfrau zu haben. Das schulterfreie Kleid saß bis hinunter zu den Knien wie angegossen, weitete sich von dort in sanfte Falten und lief in einer fließenden kleinen Schleppe aus, die sich unbekümmert über die Altarstufen hinter ihr ergoss. Anthonys Blick wanderte langsam von ihrem hellen, kurzen Haarschopf, umhüllt von einem zarten Gazeschleier und mit Blumen geschmückt, hinunter zu den unsichtbaren Füßen und wieder zurück, um auf den zweifelsohne ansprechenden Kurven ihrer Taille und Hüften zu verweilen. Anthony fand, dass Charlotte eine hinreißende Figur hatte, auch wenn es unpassend für ihren Beinahe-Schwiegervater war, so etwas zu denken. Hinreißend .
    Er schluckte und wandte den Blick entschlossen seinem Sohn zu. Luke war seiner Braut halb zugewandt und strahlte diesen offenen und besitzergreifenden männlichen Stolz aus, der Hochzeitsfesten immer so eine vage Angespanntheit verlieh. Einige Minuten zuvor hatte es einen bewegenden Augenblick gegeben, als Charlottes verwitwete Mutter den Schleier ihrer Tochter hob und beide Frauen sich mit so innigem Verständnis ansahen, das alle anderen um sie herum ausschloss. Anthony hatte flüchtig zu Rachel an seiner Seite geblickt und sich gefragt, wie schon so oft in den Jahrzehnten ihres Zusammenseins, ob sich hinter ihrer äußeren Gefasstheit irgendeine unbewusste Sehnsucht verbarg, die sie nie an die Oberfläche lassen würde. Und er überlegte, wie sie den Verlust ihres dritten und jüngsten Sohnes an eine andere Frau verkraften würde, aber ihre Reaktion darauf würde sich instinktiv und unweigerlich in den kommenden Monaten und Jahren äußern, wie heißer Dampf, der aus Rissen in der Erdkruste entweicht.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er sanft.
    Rachel reagierte nicht. Er konnte nicht sagen, ob sie Charlotte ansah oder in den Anblick von Luke vertieft war, seine breiten Schultern und die Reinheit seiner Haut bewunderte, und sich tief im Innersten fragte, ob Charlotte wirklich, wirklich wusste, was für ein außergewöhnliches Glück sie hatte. Statt eines konventionellen Huts hatte sich Rachel eine kleine Explosion grüner Federn seitlich ins Haar gesteckt, und das Zittern der Federn gab Anthony den einzigen Hinweis darauf, dass Rachel innerlich nicht ganz so gelassen war, wie sie sich äußerlich gab. Nun, dachte er, als sie ihn nicht beachtete, wenn sie so mit Luke beschäftigt ist, dann werde ich mich wieder Charlottes Hintern zuwenden. Ich werde damit nicht allein sein. Jeder Mann in der Kirche, der ihn sehen kann, wird dasselbe tun. Das zu leugnen wäre pure Heuchelei.
    Der Pfarrer, ein aufgeräumter Mann, trug eine Stola mit grell-bunter Stickerei und sprach über einen Vers von Robert Browning.
    Komm, werde alt mit mir, das Beste kommt doch erst zum Schluss.
    Dieses Gedicht befasse sich nicht direkt mit der Ehe, sagte er. Es handele davon, dass man für den Verlust der Jugend mit Erfahrung belohnt werde. Es sei eine Huldigung an einen sephardischen Gelehrten des zwölften Jahrhunderts, aber trotzdem passend, denn es feiere die Freude, es fordere uns auf, die Herrlichkeit des Alters zu würdigen, es halte uns an, in Gott zu vertrauen. Der Pfarrer breitete seine Arme aus, die in weiten weißen Ärmeln steckten, und strahlte Charlotte und Luke und Charlottes Mutter in ihrem Spitzenkleid und die gesamte Gemeinde an. Anthony ließ den Blick von dem, was von nun an seinem jüngsten Sohn gehörte, hinauf zum Dach wandern. Es war von Grund auf restauriert worden, die Balken waren lackiert und der Putz zwischen ihnen leuchtend weiß getüncht worden. Anthony seufzte. Es wäre so schön gewesen, wenn Luke, wie sein älterer Bruder Ralph, in der Kirche daheim getraut worden wäre statt in diesem idyllisch gezähmten Stück Buckinghamshire, wo es weder Sümpfe gab noch Watvögel oder Schilfebenen oder unendlichen, mit Wolkentürmen überzogenen Himmel. Es
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