Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Entfuehrung

Die Entfuehrung

Titel: Die Entfuehrung
Autoren: Frances Watts
Vom Netzwerk:
DAHEIM

    A lice und Alex führten Tibby und Alistair durch Schambel. Schon bald waren sie auf der Straße, die sie nach Smiggins bringen sollte.
    Die Sonne ging bereits unter, als sie an den Fluss kamen, den Alice und Alex im Dunkeln entlanggegangen waren. Halb verborgen hinter einer schmalen Linie grauvioletter Wolken, war die Sonne nur noch als goldenes Glühen zu sehen, das in Orange und danach in Rot wechselte und sich glitzernd und hell in der gekräuselten Wasseroberfläche spiegelte. Auf der anderen Seite der Straße erstreckten sich bis in weite Ferne Oliven- und Mandelbäume. Goldene Felder lagen dazwischen, durch die sich Zeilen hoher Zypressen zogen. Die warme, sanfte Brise auf seinem Fell und der vertraute Duft nach Wildblumen, die am Straßenrand blühten, weckten in Alistair ein unsagbares Glücksgefühl.
    So wanderten sie durch die Nacht, vorbei an der Fluss-Schänke (was bei Alice ein abfälliges Naserümpfen hervorrief) und vorbei an dem Punkt, wo der Weg über dasSpitzfels-Massiv von der Straße abbog (keiner, nicht mal Alex, schlug vor, die Abkürzung zu nehmen). Sie wanderten auch die nächsten beiden Tage und Nächte durch und hielten nur an, wenn sie nicht mehr konnten, rasteten aber niemals länger als ein paar Stunden.
    Wenn sie Hunger hatten, suchten sie Nüsse und Beeren, und Tibby sah sich nach Pilzen um. (Tibby war die Einzige, die einen Wiesenchampignon von dem ähnlich aussehenden, aber giftigen Knollenblätterpilz unterscheiden konnte.) Nachts suchten sie eine geschützte Stelle und sammelten trockenes Laub und Gras und kleine Zweige zum Anfeuern. Dann entzündete Tibby Rose ein Feuer, während die anderen drei nach größeren Scheiten und Ästen suchten, um es am Brennen zu halten.
    Am dritten Tag irgendwann nach Mitternacht erreichten sie Stubbins und machten einen Umweg durch die schlafenden Straßen, um Tibby Rose das Haus zu zeigen, wo sie mit ihren Eltern gewohnt hatten.
    Alistair entfernte sich von den anderen und lehnte sich an den niedrigen Lattenzaun. Er starrte hinüber zu dem kleinen Häuschen, das in der Dunkelheit kaum zu sehen war. Er zupfte an seinem Schal und dachte daran, wie er seine Mutter zum letzten Mal gesehen hatte. Pass gut drauf auf und verliere ihn nie , hatte sie gesagt, als sie ihm den Schal gegeben hatte. Und ganz unwillkürlich kam ihm auf einmal die Melodie in den Sinn, die Timmy vom Winns am Feuer bei Pampelmuse gespielt hatte. War es hier gewesen, wo er sie schon einmal gehört hatte? War es ein Lied,das er von seiner Mutter kannte? Er fing zu summen an, und auf einmal fiel ihm der Text ein – allerdings ein anderer Text als der, den Timmy gesungen hatte.
    »Beim brennenden Baum
    Beim Fels von Gold
    Beim Spalt im hohen Gebirg’
    Beim letzten Schein in den Schatten des Abends
    Singt das raunende Schilf das Lied vom Winns.«
    Er murmelte die Worte vor sich hin, als Tibby zu ihm trat.
    »Alles in Ordnung, Alistair?«, fragte sie. »Du siehst aus, als ob du Millionen von Meilen weit fort bist.«
    »Ich glaube, das bin ich auch, Tib«, sagte er und versuchte, die Erinnerungsfetzen zusammenzufügen. »Oder zumindest Tausende.«
    Er dachte an die Warnung von Slipper Pink, das geheime Wissen seiner Mutter niemals zu verraten, und sprach leise, damit ihn seine Geschwister nicht hörten.
    »Erinnerst du dich an das, was uns Slipper gesagt hat? Dass meine Mutter die geheimen Wege von Gerander kannte? Ich glaube, meine Mutter hat mir eines von den geheimen Liedern vorgesungen.«
    »Wirklich?« Tibby klang aufgeregt. »Wie kommst du darauf?«
    Alistair erzählte ihr von dem Lied über den Fluss, das Timmy vom Winns gespielt hatte, als sie schlief. »Und ichglaube, ich habe die Melodie erkannt, weil meine Mutter sie mir vorgesungen hat. In der Nacht, ehe sie fortging«, sagte er. »Ich habe eben an diese Nacht gedacht, und plötzlich ist mir der Text von dem Lied eingefallen.« Er sang es ihr leise vor.
    Als er fertig war, nickte Tibby nachdenklich. »Beim Spalt im hohen Gebirg’ ... Das könnte ja ein geheimer Bergpfad sein, nicht? Der Fels aus Gold und der brennende Baum, das klingt allerdings ein bisschen unwahrscheinlich. Vielleicht sind das herausstechende Erkennungszeichen in der Natur. Aber wie sollen wir sie unter den vielen Felsen und Bergen von Gerander finden?«
    Ehe sie sich weiter den Kopf zerbrechen konnten, wurden sie von Alice unterbrochen, die leise rief. »Alistair, Tibby Rose, wir sollten bald weiter, wenn wir am Morgen in Smiggins sein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher