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Die Entfuehrung

Die Entfuehrung

Titel: Die Entfuehrung
Autoren: Frances Watts
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1 ALEX, ALICE UND ALISTAIR

    A listair? Alistair!« Das war Alice. »Komm rüber, ich will dich am Schwanz halten.«
    »Geht nicht«, sagte Alistair. »Bin beschäftigt.« Schnell steckte er die Nase in sein Buch.
    »Alistair«, sagte seine Schwester ungehalten, »warum verplemperst du deine Zeit damit, von Abenteuern zu lesen , wenn du sie selbst erleben könntest? Nun komm schon, wir brauchen dich.«
    Alistair verstand nicht, wieso es ein Abenteuer sein sollte, von seiner Schwester, die auf der Sofalehne stand, am Schwanz baumeln gelassen zu werden. Er würde bei allem mitmachen, solange es nichts damit zu tun hatte, am Schwanz zu baumeln.
    Sein Bruder Alex lag bäuchlings auf dem Sofa. Anscheinend war aus dem Salto, den er hatte machen wollen, eine Bauchlandung geworden.
    »Du musst mehr aus den Knien hochschnellen, Alex«, riet ihm Onkel Ebenezer. »Also, wie ich schon vorhin sagte, die schwierigste Art von Überschlag ist, wenn mandabei eine andere Maus am Schwanz hält. Dabei fällt mir ein, wie ich mal auf einem Baum stand und gerade nach einem leckeren Camembert greifen wollte. Plötzlich höre ich hinter mir ein verzweifeltes Quieken, drehe mich um und sehe Rebus wankenden Schrittes auf einem Ast balancieren.« Er torkelte wild auf dem Teppich hin und her, um ihnen zu zeigen, was er meinte. Dazu wackelte er heftig mit den Barthaaren. »Euer Vater war schon immer ein bisschen ungeschickt«, bemerkte er.
    Zufällig hatte Onkel Ebenezer beim Essen erwähnt, dass er in seiner Jugend besonders begabt im Saltoschlagen gewesen war. »Nicht nur ganz gewöhnliche Purzelbäume, versteht ihr – waghalsige, todesmutige Überschläge oder Saltos von ganz hohen Stellen«, hatte er gesagt.
    Daher waren Alice und Alex jetzt ganz versessen darauf, ihr eigenes Können im Saltoschlagen unter Beweis zu stellen.
    Im Gegensatz zu seinen Geschwistern war Alistair weit mehr an der Geschichte interessiert als an Purzelbäumen. Während er jetzt neben dem Sofa stand und versuchte, seinen Schwanz aus Alices Reichweite zu halten, überlegte er, welche der vielen Fragen, die ihm dazu eingefallen waren, er stellen sollte.
    Da war zunächst einmal die Frage: Wo befand sich der Baum und was machte ein Camembert auf einem Ast? Andererseits wusste er aber schon, dass die Antwort genauso unbefriedigend sein würde wie die Erklärungen aus anderen Geschichten seines Onkels: warum ein Harzerkäsein einer Unterwasserhöhle gewesen war oder warum ein Stück Gouda unter einem Busch ganz oben auf einer heimtückischen Klippe gelegen hatte, wie er den Drillingen hatte weismachen wollen. Deshalb fragte er nur: »Und was hast du getan?«
    Onkel Ebenezer nickte, als sei diese Frage in der Tat ganz wesentlich, und erwiderte: »Nun, ich musste eine rasche Entscheidung treffen: meinen Bruder retten oder den Camembert schnappen. Natürlich habe ich Rebus gerettet – auch wenn ich selten zuvor einen so reifen, zerlaufenen Camembert gesehen habe.« Er blickte einen Augenblick sehnsüchtig zur Decke, dann fuhr er fort: »Gerade als euer Vater vom Ast zu stürzen drohte, schnellte ich zurück, hakte die Hinterbeine um den Ast und schaukelte vorwärts – oder war es rückwärts? –, um Rebus am Schwanz zu packen. Dann schaukelte ich mich baumelnd immer höher und höher, bis ich genug Schwung hatte, um im Salto von dem Ast zu springen und am Fuß des Baumes zu landen. Rebus war, wie zu erwarten, ziemlich gebeutelt, daher warf ich ihn mir über die Schulter und trug ihn nach Hause. Ich bin schon immer äußerst wendig gewesen«, setzte er bescheiden hinzu und sah seine Neffen und seine Nichte mit hochgezogenen Augenbrauen an.
    »In Bezug auf die Wahrheit«, murmelte Tante Beezer, die am Esstisch saß und Arbeiten korrigierte. Sie sah Alistair an und zwinkerte ihm zu. Alistairs Tante war Mathelehrerin und im Gegensatz zu ihrem Mann immer äußerst präzise.
    Alex, Alice und Alistair wohnten jetzt seit vier Jahrenmit Onkel und Tante in deren winziger Wohnung in der kleinen Stadt Smiggins. Die Drillinge waren ursprünglich für zwei Wochen zu Besuch gekommen, während ihre Eltern auf Reisen waren, angeblich in geschäftlichen Angelegenheiten. Doch es war ein Unfall passiert und Rebus und Emmeline waren nie zurückgekehrt.
    Vier Jahre ... Alistairs Erinnerungen an ihr Zuhause in Stubbins wurden immer blasser. Manchmal allerdings, wenn er am wenigsten darauf gefasst war, fiel ihm plötzlich das glänzende braune Fell seiner Mutter ein, auf dem sich das
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