Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie
Autoren: Jay Bonansinga
Vom Netzwerk:
Mutter – einer Einwanderin erster Generation aus Kenia, die nur sehr wenig Englisch sprach – die Last aufgebürdet, ihren einzigen Sohn alleine aufzuziehen. Geisel war über die Jahre zu einer Art Vaterfigur für Grove geworden. Aber noch wichtiger war, dass Hannah Geisel von Anfang an verehrt hatte. Die beiden Ehepaare hatten sich häufig privat getroffen, und der alte Mann hatte Hannah stets zum Lachen gebracht. Nach ihrem Tod war Geisel einer der wenigen aus dem Bureau gewesen, die zu ihrer Beerdigung erschienen waren.
    Jetzt berief sich Grove auf diese lange gemeinsame Vergangenheit, als er sagte: «Versprechen Sie mir, dass Sie mich zurück ins Spiel bringen, wenn der Sun-City-Täter noch einmal zuschlagen sollte.»
    Geisel ließ einen Moment verstreichen, bevor er zustimmend nickte.
    «Versprochen, Junge.»
    «Es ist für Maura. Ein Gespräch auf Leitung eins – »
    Maura County seufzte, als sie die metallische Stimme aus dem Lautsprecher des Telefons hörte. Sie war gerade dabei gewesen, in der allwöchentlichen Redaktionskonferenz des Discover Magazine ihre Idee für eine neue Story zu verteidigen. Der Anruf der Sekretärin hatte ihr den Schwung genommen; ihre Kampfbereitschaft war verflogen, und sie fühlte sich wie ein Speerwerfer, der beim Anlauf ins Stolpern gerät. Was konnte es denn diesmal Dringendes sein? Wieder ein verärgerter Anzeigenkunde?
    «Sie sollten das Gespräch besser annehmen», drängte Chester Joyce hinter seinem massigen Schreibtisch. Die von Leberflecken übersäte Glatze des alten Chefredakteurs schimmerte matt im Licht der Halogenröhren. Er atmete stockend und stieß zwischen den Sätzen ein rasselndes Pfeifen aus, als wolle er damit seinen Worten mehr Gewicht verleihen. Trotz seiner Krankheit hatte es Joyce bisher abgelehnt, sich aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen. Wie einen treuen Hund zog er seine Sauerstoffflasche stets mit sich, die unaufhörlich zischend seine kranken Lungen mit Luft versorgte.
    «Eine Sekunde noch», sagte Maura und warf mit einer schnellen Kopfbewegung die langen, blonden Locken nach hinten. Als würde sie die Finger über einem Lagerfeuer wärmen, rieb sie sich eifrig die Hände, wie sie es immer tat, wenn sie sich in einer Sache durchbeißen musste, sich in die Enge getrieben fühlte oder großen Stress hatte. «Ich brauche definitiv einen Platz für dieses Thema, Chester, und ich brauche die Zusage von ganz oben – »
    «Maura, Sie wissen doch, dass wir nicht – »
    «Die Geschichte ist gut, Chester.»
    «Daran zweifle ich ja gar nicht.»
    «Also, wo ist das Problem?»
    Der alte Mann rieb sich das faltige Gesicht. «Paläolithische Diätkost, Maura?» Er atmete pfeifend. «Wenn Sie mir meine Ausdrucksweise verzeihen mögen, für mich schreit das nach der guten alten Zeitschrift Omni. Wenn ich mich nicht irre, befinden wir uns im 21. Jahrhundert.»
    Maura unterdrückte das Bedürfnis zu schreien. «Ich bitte doch nur um tausend Wörter.»
    «Tausend Wörter sind tausend Wörter.»
    Wieder die lautsprecherverstärkte Stimme:
    «MAURA… DER ANRUFER WARTET IMMER NOCH AUF LEITUNG EINS… MAURA COUNTY… EIN ANRUF LIEGT AUF LEITUNG EINS.»
    «750 Wörter», flehte Maura und beugte sich erwartungsvoll auf ihrem Stuhl vor.
    Nach einer langen Pause sagte Chester Joyce: «Lassen Sie mich drüber nachdenken.»
    «Ich bitte doch nur um – »
    Chester hob eine Hand und schnitt ihr das Wort ab. «Ich sagte, ich werde darüber nachdenken, und jetzt kümmern Sie sich um Ihren Anruf.»
    Maura nickte knapp und richtete sich zu ihrer vollen Körpergröße von ein Meter sechzig auf. «Fortsetzung folgt», sagte sie, wirbelte herum und rauschte mit geballten Fäusten aus dem Büro ihres Chefredakteurs.
    Sie marschierte den Flur hinunter zu ihrem Schreibtisch und fragte sich, ob sie sich eben, als sie Chesters Versprechen, sie zur leitenden Redakteurin zu befördern, erwähnte, ihre Zukunft verscherzt hatte. Sie verstand sich nicht auf das Intrigenspiel in der Redaktion. Alles, was sie konnte, war Schreiben und Redigieren, und das einzige Gebiet, auf dem sie Spezialistin war, war die Wissenschaft. Inzwischen fragte sie sich allerdings, ob ihre beiden Magisterabschlüsse – einer in naturwissenschaftlicher Anthropologie und einer in Geologie – sich nicht zum nutzlosen Ballast auswuchsen. Wie zwei verstümmelte Schwanzfortsätze.
    Ihr Arbeitsplatz befand sich in dem Großraumbüro am Ende des Hauptkorridors, eine unaufgeräumte Kabine, überfüllt mit Büchern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher