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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie
Autoren: Jay Bonansinga
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und Aktendeckeln, eingezwängt zwischen fluoreszierend hellen Leuchttischen, an denen layoutet wurde. Allgegenwärtiger Soft Rock beschallte von früh bis spät die Büros des Discover Magazine. Die meisten Pinnwände ihrer Kollegen waren mit Banalitäten aus dem Privatleben verziert – Schnappschüsse aus dem Familienalbum, Bilder von Haustieren, Cartoons aus dem New Yorker, vermeintlich witzige Autoaufkleber. Nur in Mauras Nische zeichnete sich so etwas wie ein unruhiger Intellekt ab. Fotos von Stonehenge, Einstein, ägyptischen Mumien und Stephen Hawking konkurrierten an der Wand mit obskuren Werbeplakaten für die Konzerte lange vergessener Punk-Rock-Bands und alten französischen Programmkarten für Theateraufführungen.
    Maura nahm auf dem Stuhl Platz, betrachtete das blinkende Licht an ihrem Telefonapparat und wappnete sich für einen weiteren nervigen Anruf eines Anzeigenkunden. Sie war eine sehnige, schmale Frau Ende dreißig und trug einen ärmellosen Pullover und eine Flickenjeans. Die Strähnen des blonden Haares fielen ihr schräg über das Gesicht, und in einem Ohr trug sie eine Reihe von Steckern aus Sterlingsilber. Dazu zierte eine winzige Tätowierung in Form einer schwarzen Rose ihren Hals. Ihre Haut war so blass, dass die bläulichen Adern ihrer schlanken Arme wie ein feines Muster auf Porzellan wirkten.
    «Maura County», sagte sie.
    Am anderen Ende erklang ein satter Bariton, völlig anders als das hohe, aufgeregte Flöten der Werbeleute, das sie eigentlich erwartet hatte. «Hier spricht Ulysses Grove… vom FBI… Behavioral Science.»
    Maura stutzte. «Behavioral Science… ehm… geht es vielleicht um…?»
    «Den Eismann? Ich nehme doch an, Sie sind dieselbe Maura County, die vor einer Weile wegen eines Profilers mit dem Bureau Kontakt aufgenommen hat?»
    Maura setzte sich kerzengerade auf. «Oh… oh, ja, ehm… ich danke Ihnen für den Anruf, Mister Grove. Heißt es Mister oder…?»
    «Special Agent Grove geht völlig in Ordnung.»
    Maura stotterte: «S-special Agent, ehm, okay, Special Agent Grove, ja – »
    «Ulysses reicht auch.»
    «Ulysses, prima.»
    «Also…»
    Maura seufzte. «Ulysses, ich versichere Ihnen, normalerweise führe ich mich nicht so auf. Nennen Sie mich bitte Maura. Es tut mir Leid, aber es war eine verrückte Woche.»
    «Von denen habe ich auch eine Reihe hinter mir», sagte Grove. Maura konnte beinahe das müde Lächeln am anderen Ende der Leitung sehen.
    Sie spürte eine große Erleichterung. Bislang hatte sie niemals in ihrem Leben mit einem Angehörigen irgendeiner Strafverfolgungsbehörde zu tun gehabt. Dem Himmel sei Dank, sie war nie das Opfer eines Verbrechens geworden. Ja, sie hatte noch nicht einmal mit einem Polizisten gesprochen. Und sie mochte weder Polizeiserien noch Krimis. Und nun sprach sie gewissermaßen mit Sherlock Holmes persönlich, und er klang wie ein netter Typ.
    «Okay», sagte Maura schließlich, «wie Sie sich vorstellen können, spricht jeder auf unserem Fachgebiet über den Eismann; zumal alles darauf hindeutet, dass er ermordet wurde. Ich meine, wir haben es hier mit einem perfekt erhaltenen Mann aus der Kupferzeit zu tun. Das Discover Magazine hat bereits zwei große Geschichten darüber veröffentlicht.»
    «Ich nehme an, es sind DNA-Sequenzen von der Mumie erstellt worden?»
    «Ja, also, sehen Sie… da wird es irgendwie kompliziert. Der Bundesstaat Alaska und die Nationale Parkverwaltung streiten sich darum, wem der Fund gehört. Ein ziemlicher Schlamassel.»
    «Wo ist die Mumie jetzt?»
    «Noch immer in der University of Alaska. Sie verfügen dort über ein recht eindrucksvolles Labor, und man lässt ihn eingefroren. Sie haben ihn nur einmal aufgetaut, um Proben zu entnehmen.»
    «Knochen und Gewebe?»
    «Exakt.» Maura nickte. «Ungefähr ein Gramm aus seiner Hüfte – sie war ohnehin verletzt worden, als die Bergwanderer ihn aus dem Eis befreiten. Die erste Analyse war etwas verwirrend.»
    «Lassen Sie mich raten», sagte die Stimme. «Man fand eine Menge verschiedener Sequenzen.»
    «Genau, genau. Woher wissen Sie das?»
    «So etwas passiert uns oft an Tatorten. Man versucht, einen Mitochondrien-Test durchzuführen, aber am Ende hat man es mit einer Menge verschiedener Sequenzen zu tun, weil man an der Oberfläche arbeitet. Manchmal findet man auch an einem Tatort ein Dutzend verschiedene Fingerabdrücke, weil das Opfer so oft bewegt worden ist.»
    «Genauso ist es auch hier», bestätigte Maura. «Deswegen wurde ein zweiter
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