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Die Einsamkeit des Barista

Die Einsamkeit des Barista

Titel: Die Einsamkeit des Barista
Autoren: Marco Malvaldi
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mehr in der Bar, und falls du es ihnen erklärt haben solltest, weiß ich davon nichts, aber mir hat es ganz sicher niemand gesagt.«
    Massimo atmete erleichtert auf. Die Wette vom Restaurant. Die hatte er ganz vergessen.
    »Das Problem ist Folgendes«, begann Massimo vor der inzwischen angetretenen Hörerschaft. »Nehmen wir einmal eine bestimmte Anzahl von Personen, sagen wir zweiundvierzig. Welche Wahrscheinlichkeit besteht, dass mindestens zwei davon am selben Tag des Jahres Geburtstag haben?«
    »Na, zweiundvierzig durch dreihundertfünfundsechzig«, antwortete Ampelio.
    »Sehr gut. Schöne Überlegung. Die hat auch Aldo angestellt, und was ist passiert? Der große grüne Schein mit dem Barockfenster darauf ist zu Massimo gewandert. Tatsache ist, dass zweiundvierzig durch dreihundertfünfundsechzig die Wahrscheinlichkeit ergibt, mit der eine dieser Personen an einem bestimmten Tag des Jahres Geburtstag hat. Meinetwegen der 30. August oder der 1. Februar. Um das Problem richtig zu lösen, muss man sich dagegen fragen, wie viele Paare man unter den Anwesenden bilden kann und mit welcher Wahrscheinlichkeit einer der beiden Angehörigen des Paares am selben Tag geboren sein könnte wie der andere. Wenn ich also eine der zweiundvierzig Personen wäre, dann bestünde eine Wahrscheinlichkeit von einundvierzig auf dreihundertfünfundsechzig, oder besser gesagt circa elf Prozent, dass jemand anderes am selben Tag geboren sein könnte wie ich, und das ist der 8. Februar. Sollte aber niemand an meinem Geburtstag geboren worden sein, macht das auch nichts. Nehmen wir einfach einen anderen, im Grunde sind ja noch einundvierzig übrig, und wiederholen wir die Rechnung. Vierzig durch dreihundertfünfundsechzig, wieder etwa zehn Prozent, die sich auf die Wahrscheinlichkeit von eben aufsummieren. Und immer so weiter. Das ist allerdings nur annähernd so, denn die korrekte Berechnung ist ein bisschen komplizierter, aber so bekommt man eine Vorstellung davon. Bei jedem Schritt füge ich einen Term hinzu – einen immer kleineren, weil ich dasselbe Paar nicht zweimal berücksichtigen kann, und folglich werden mit jedem Schritt, die die Berechnung voranschreitet, immer mehr Personen ausgeschlossen – und die Wahrscheinlichkeit steigt. Nur dass wir eine Vorstellung bekommen: Schon bei fünfundzwanzig Leuten ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei am selben Tag geboren wurden, höher als fünfzig Prozent. Mit zweiundvierzig hab ich, sagen wir mal, ein bisschen unredlich gespielt.«
    »Aha«, sagte Aldo, »aber das entspricht ganz und gar nicht der Intuition.«
    »Überhaupt nicht. Das ist ja das Schöne an der Mathematik: Sehr oft ist sie kontraintuitiv. Die Wirklichkeit ist schon bei den natürlichen Zahlen viel komplizierter, als man es erwarten würde. Ganz zu schweigen von dem ganzen Rest.«
    »Tja, aber sie ist nur nicht intuitiv für uns, die wir arme, unwissende Idioten sind«, sagte Pilade. »Wenn einer intelligent ist und studiert hat – wirst sehen, dass er bei bestimmten Sachen auch aus dem Stegreif auf das richtige Ergebnis kommt.«
    »Das ist nicht gesagt. Das schönste Beispiel kommt wieder aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung.«
    Massimo schnupperte an seinem Prosecco und ließ sich von dem mikroskopisch kleinen Zerplatzen der Bläschen in der Nase kitzeln.
    »Die Theorie der Wahrscheinlichkeit ist aus einem Brief von Blaise Pascal an Pierre de Fermat geboren, in dem Pascal ihm ein Problem darlegte: Zwei Spieler würfeln gegeneinander, nachdem sie sich darauf geeinigt haben, dass derjenige gewinnt, der in zehn Würfen die höchste Punktzahl erreicht. Falls die Partie aber nun vorzeitig abgebrochen werden müsste, wie müssten die Spieler den Gewinn verteilen nach der Wahrscheinlichkeit, mit der jeder die Partie hätte gewinnen können, wäre sie nicht unterbrochen worden?«
    »Ah. Und wie macht man das?«, fragte Pilade.
    »Wie man das macht, hat Fermat auf Anhieb gewusst. Immerhin war er ein Genie. Und in seinem Antwortbrief hat er es Pascal erklärt. Und Pascal, der seinerseits ebenfalls ein Genie war, hat es nicht verstanden. Er hat Fermat zurückgeschrieben und eine eigene Lösung vorgeschlagen, die Fermat als falsch widerlegen konnte. Aber Pascal hatte immer noch nicht verstanden. Um es kurz zu machen: Pascal konnte eines nicht verstehen, nämlich die Theorie der Wahrscheinlichkeit in einer ihrer einfachsten Anwendungen, die heute schon Universitätsstudenten beherrschen. Und das war Pascal, nicht irgendein
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