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Zehn Mythen der Krise

Zehn Mythen der Krise

Titel: Zehn Mythen der Krise
Autoren: Heiner Flassbeck
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VORWORT
Ökonomische Krisen und ihre Mythen
    Gibt es eine ökonomische Krise, sind ihre Mythen nicht weit. Anders als in den Naturwissenschaften oder bei profanen, relativ ideologiefreien Berufen wie Bauingenieur oder Mediziner können der Ökonom und der von ihm beratene Politiker eine Krise nicht einfach vorurteilslos analysieren und daraus Schlussfolgerungen für angemessene Gegenmaßnahmen ziehen. Der traditionell denkende Wirtschaftswissenschaftler wie der dem Markt zugeneigte Politiker betrachten den Markt schon von vornherein als optimal funktionierenden Mechanismus. Deswegen gehen sie immer auf dieselbe eigentümliche Art und Weise vor, wenn sie mit einer Krise konfrontiert sind.
    Für den »Mainstream-Ökonomen« stehen, anders als für den Naturwissenschaftler, die Ursachen von Schocks und Krisen, die man anhand objektiver Daten und mithilfe logischen Denkens ermitteln könnte, nicht im Vordergrund. Im Gegenteil: Sein Weltbild sagt ihm, dass er ohne große Umwege über die Faktenlage nach solchen Ursachen suchen sollte, die mit staatlichem Handeln im weitesten Sinne zu tun haben. Nach Problemen im Markt selbst zu suchen empfindet er als Zeitverschwendung, weil er ja weiß, dass der Markt effizient ist und nicht durch die Analyse eines Ökonomen verbessert werden kann. Der Mythos des unfehlbaren Marktes und des extrem fehlbaren Staates überlagert jeden Versuch einer objektiven Ursachenanalyse. Es ist, als würde ein Mediziner bei jeder Art von Krankheitsbild unterstellen, der innere Zustand des Patienten sei absolut perfekt, weshalb man sich auf die kleinsten äußeren Einwirkungen konzentrieren könne, statt die Symptome der Krankheit oder Wechselwirkungen im Körper zu untersuchen, um eine Diagnose zu stellen. Nur so ist zu erklären, dass die große Krise der Jahre 2008 ff., die auch 2012 längst nicht überwunden ist, bei den Wirtschaftswissenschaftlern nie zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit deren Ursachen geführt hat. Außerdem wurden Faktoren, die im weitesten Sinne mit dem Staat zu tun haben, von der Mehrzahl der Ökonomen und Politiker extrem übergewichtet. Der erfolgreichste Schnellschluss dieser Art war die Vermutung, die amerikanische Zentralbank mit ihrer leichten Geldpolitik sei die eigentlich Schuldige. In Windeseile verbreitete sich dieser Mythos über die ganze Welt, weil er so wunderbar in das Muster des fehlbaren Staates passte, der die unfehlbaren Märkte in die Verdammnis hineinzieht. Dass kurz darauf fast alle Zentralbanken der Welt zur Bekämpfung der Krise den vermeintlich ursächlichen Fehler, nämlich massive Zinssenkungen, wiederholten und sogar noch verstärkten, wurde kaum zur Kenntnis genommen. Hätte man genau das noch einmal getan, wenn es wirklich die Ursache gewesen wäre? Wieso kann man in ökonomischen Fragen die schlichte Einsicht beiseiteschieben, wonach ein Faktor, der für die Krise verantwortlich war, nicht unisono als wichtigste Medizin eingesetzt werden sollte?
    Nachdem die Geldpolitik als Krisenursache ausgedient hatte, wurden die staatlichen Schulden als die »eigentliche« Ursache der Krise entdeckt. Aus der »Finanzkrise« wurde die »Schuldenkrise«. Das war zwar angesichts der Tatsache, dass die staatlichen Schulden eindeutig erst im Gefolge der Krise gestiegen waren, vollkommen absurd, stand aber im Einklang mit dem üblichen Mythos (Mythos III ), was dazu führte, dass die vereinten Medien, die Politik und der Großteil der so genannten Wissenschaft diese Position rasch zur herrschenden Lehre machten. Besonders konsequent wurde in Europa die tiefe systemische Krise der Währungsunion zur Schuldenkrise einiger weniger südeuropäischer Länder umgedeutet. Für die deutschen »Umdeuter« hatte dies den zusätzlichen Vorteil, dass sie ihre Hände in Unschuld waschen konnten und über ihre eigenen Fehler nicht diskutieren mussten. Dass dabei die Währungsunion in ihrem Kern schwer beschädigt und ihrer Funktionsfähigkeit für die Zukunft vollständig beraubt wurde, gehört zu den Kollateralschäden der ideologischen Vorgehensweise, blieb aber in der öffentlichen und politischen Diskussion vollkommen außen vor. Eine intensive öffentliche Auseinandersetzung über den Sinn und Zweck einer Währungsunion war ja niemals – weder vor der Währungsunion noch kurz vor ihrem drohenden Ende – geführt worden, sollte wohl auch nie wirklich geführt werden.
    Statt sich ernsthaft mit den Problemen auseinanderzusetzen, talkt sich die moderne
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