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Zehn Mythen der Krise

Zehn Mythen der Krise

Titel: Zehn Mythen der Krise
Autoren: Heiner Flassbeck
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Teil des Verdrängungskomplexes, den ich oben schon geschildert habe. Regierungen bzw. die darin handelnden Personen haben ihre eigenen Vorurteile, stehen unter dem massiven Druck der Lobbys und sind immer in erheblichem Maße abhängig von der Position, die der Großteil der »Experten« in einer bestimmten Frage einnimmt. Regierungen, und zwar insbesondere wenn sie in Foren der internationalen Kooperation wie die EU oder die G20 eingebunden sind, tendieren dazu, nur das minimal Nötige zu tun, um eine Krise zu beenden oder um zumindest den Anschein zu erwecken, sie hätten etwas getan, um die Probleme in den Griff zu bekommen.
    Das gilt auch für die Krise des Jahres 2008, die das Potenzial hatte, schon unmittelbar nach ihrem Ausbruch zur größten Krise des Kapitalismus überhaupt zu werden, wenn man nicht in einem kurzen lichten Moment erkannt hätte, dass man den Sturz in eine neue Große Depression nur mit Mitteln verhindern konnte, die bis dahin mit dem Bannfluch »Keynesianismus« belegt waren. Zwar hatte man diese Lehre vom aktiven Staat für endgültig überwunden gehalten, als in den Regierungszentralen jedoch Panik ausbrach, stellte man fest, dass es tatsächlich kein anderes Mittel gab, um das Feuer zu löschen. Zweieinhalb Jahre später, als sich im Sommer 2011 zeigte, dass die Weltkonjunktur erneut auf eine Rezession zusteuerte, war das freilich alles schon wieder vergessen, und das Dogma des Schuldenabbaus dominierte trotz der bedrohlichen Krisensignale.
    Während also hinsichtlich der Bekämpfung der Rezession, die der Finanzkrise folgte, rasch übereinstimmende Konsequenzen in Form keynesianischer Finanzpolitik (also Anregung der Konjunktur über höhere Ausgaben oder geringere Einnahmen bei insgesamt höherer Verschuldung der Staaten) gezogen wurden, verblieb die Bekämpfung der eigentlichen Ursache der Krise, nämlich des Herdentriebs an den Finanzmärkten, im Verbalen. Zwar wurde allenthalben die zu große »Risikobereitschaft« der Investmentbanker und Hedgefonds-Manager beklagt, doch bereits im Frühjahr 2009 wurde diesen wieder erlaubt, an den entscheidenden Spekulationsmärkten neue Blasen aufzupumpen. Als diese im Sommer 2011 zu platzen begannen, war plötzlich wieder von Bankenrettung die Rede, weil die Scheinerträge der beiden Vorjahre, die so heftig bejubelt worden waren, wie Schnee in der Frühlingssonne schmolzen und damit offenlegten, dass im Hinblick auf eine Neustrukturierung des Finanzwesens nichts geschehen war.
    Eine ernst zu nehmende und breite politische Diskussion dar-über, welche Schäden diese Wetten, also das permanente Zocken der Herden aufgrund der dadurch verzerrten Preise für die Gesamtwirtschaft erzeugt, gibt es bis heute nicht einmal im Ansatz. Von »Regulierung« oder gar »Re-Regulierung« wird gesprochen, aber höchstens in dem Sinne, dass man bereit ist, etwas Sand ins Getriebe der Märkte zu werfen. Darüber, ob diese wirtschaftliche Aktivität einen gesellschaftlichen Nutzen stiftet, der es rechtfertigen könnte, das von ihr für die Allgemeinheit zweifellos ausgehende Risiko hinzunehmen, redet allerdings niemand. Von der Erkenntnis, dass diese Märkte gesellschaftlichen Schaden anrichten, weil sie den Grund für ihren krisenhaften Zusammenbruch selbst durch das Herdenverhalten schaffen, ist die Politik meilenweit entfernt.
    Das zeigt das Muster der systematischen politischen Nicht- Bewältigung solcher ökonomischen Vorgänge deutlich auf: Die Politik sowie die »Wissenschaft« springen unmittelbar und eher intuitiv auf harmlose oder politisch wenig brisante Nebenkriegsschauplätze, um dort publikumswirksam Aktionismus zu demonstrieren, während die eigentliche Misere links liegen gelassen wird. Und in der Tat, warum sollte ein Politiker, der für vier Jahre gewählt ist, sich die Bewältigung einer Herkulesaufgabe auf die Fahnen schreiben, die vermutlich zehn oder zwanzig Jahre in Anspruch nehmen und damit seine politische Existenz bei Weitem überdauern würde? Ist es da nicht rationaler, sich auf eher randständige, in der Öffentlichkeit aber als bedeutend verkaufte Aspekte zu konzentrieren und dabei Aktionismus in der Hoffnung an den Tag zu legen, dass populistisches oder rein symbolisches Handeln die Wiederwahl sichert und im Übrigen alles schon irgendwie weitergehen wird?
    Um ein neueres und extremes Beispiel zu nennen: Die G20, also die Gruppe der größten Industrie- und Entwicklungsländer, hat es geschafft, im November 2011 auf die Herausforderung
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