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Zehn Mythen der Krise

Zehn Mythen der Krise

Titel: Zehn Mythen der Krise
Autoren: Heiner Flassbeck
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verordnet, das zwingend darauf hinausläuft, dass die Wirtschaft in einer schweren Rezession und einer immerwährenden Schrumpfung versinkt. [3] Genau diese Botschaft von den bösen Schulden und dem guten Sparen aber wird Abend für Abend verbreitet – angefangen beim Börsenexperten vor der ersten Nachrichtensendung, über die Anchormen der Nachrichtenmagazine bis in die letzte Talkshow. Der Bürger, der sich gerne informieren möchte, wird mit einem schrecklichen Gebräu aus wirtschaftlichem Halbwissen und ideologisch vorgekochter Brühe übergossen,dem er niemals entkommen kann. Jeder, der versucht, mit ein wenig Rationalität dagegenzuhalten, gibt schnell auf oder passt sich an, weil man nur so in die Talkshows eingeladen wird, die die Verkäufe der eigenen Bücher und die Honorare für Vorträge wie nichts anderes hochschnellen lassen.

    Grafik 1: Staatsschulden 1) in Europa
    Anmerkungen: 1) Schuldenstand des Staates in Prozent des Bruttoinlandsprodukts; 2) Italien, Spanien, Portugal.
    Quellen: AMECO Datenbank (Stand: 11/2011); Werte 2011: Schätzung der EU-Kommission.

    Grafik 2: Staatsschulden im internationalen Vergleich 1)
    Anmerkungen: 1) Schuldenstand des Staates in Prozent des Bruttoinlandsprodukts; 2) zwölf Länder: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien.
    Quellen: AMECO Datenbank (Stand: 11/2011); Werte 2011: Schätzung der EU-Kommission.
    Wenn es in einer Volkswirtschaft allerdings ohne Schulden nicht geht, weil irgendjemand immer spart, kann man auch den Staat nicht einfach via Schuldenbremse aus der Verantwortung nehmen. Wenn der Staat sich nicht verschuldet, die privaten Haushalte aber sparen, muss man eine Wirtschaftspolitik betreiben, bei der die Unternehmen gezwungen sind, sich zu verschulden und in Sachanlagen zu investieren. Die deutsche Wirtschaftspolitik ist jedoch genau auf das Gegenteil ausgerichtet: Sie fördert die Unternehmen bei jeder Gelegenheit mithilfe der Steuerpolitik massiv und verschafft ihnen Gewinne, die nicht erst am Markt über mühsame Sachinvestitionen verdient werden müssen. Da die Lohnpolitik (der autonomen Tarifpartner, aber unter erheblichem politischen Druck) in den letzten fünfzehn Jahren durch massive Lohnzurückhaltung versucht hat, den Unternehmen besonders hohe Profite zuzuschanzen, hat sich Deutschland in die nur absurd zu nennende Lage manövriert, dass auch die Unternehmen als Gruppe sparen, also höhere Gewinne machen, als sie investieren. Sie sind damit nicht mehr, wie noch zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders, der wichtigste Gegenpart zum privaten Sparen.
    All dies wäre noch hinzunehmen, wenn der Allgemeinheit oder wenigstens der Politik bewusst wäre, dass in dieser Lage logischerweise nur noch ausländische Unternehmen und Konsumenten dafür sorgen können, dass deutsche Sparwünsche nicht sofort in die Rezession führen (vgl. dazu ausführlich die Ausführungen zu Mythos V unten). Doch weit gefehlt: Gerade weil das Ausland in hohem Maße verschuldet ist und die Grenzen seiner Verschuldungsfähigkeit erreicht hat, wird es von Deutschland beschimpft und bei der Kreditvergabe, die das deutsche Modell am Leben erhält, mit Bedingungen überzogen, die in vielen Ländern neue Armut und früher oder später einen Aufstand der Massen provozieren werden.

MYTHOS IV:
Wir leben über unsere Verhältnisse
    Nichts prägt in diesem Kontext das Denken des Bürgers mehr als das Bild der sprichwörtlichen schwäbischen Hausfrau. Konsequenterweise hat Frau Merkel genau damit die Finanzkrise erläutert. Merkels »Wir leben über unseren Verhältnissen« reflektiert nicht nur die vorherrschende Mentalität, die Schulden als unsolide und bedrohlich ansieht, sondern auch das noch viel tiefer gehende Gefühl, dass auf Zeiten des Überflusses notwendig (mindestens sieben) magere Jahre folgen, in denen man zwar den Gürtel enger schnallen muss, gleichzeitig aber auf den Pfad der Tugend zurückfinden kann. Es ist dieses Bauchgefühl, das einerseits der grünen und generell wachstumskritischen Bewegung ihre konservative Basis schafft und das andererseits den Keynesianismus (»durch neue Schulden einen Wachstumsschub auslösen oder zumindest einen Wachstumseinbruch verhindern«) auch bei »Linken« oder in diesem Sinne »Fortschrittlichen« zu einer dubiosen oder gar verhassten Lehre macht. Ganz zu schweigen von denen, die das »System« ohnehin überwinden wollen und daher alle
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