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Zehn Mythen der Krise

Zehn Mythen der Krise

Titel: Zehn Mythen der Krise
Autoren: Heiner Flassbeck
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kann man sich als normal und vernünftig denkender Mensch kaum vorstellen. Wir haben es hier aber beileibe nicht mit einer Fiktion, sondern mit harter Realität zu tun. Im Falle der Schulden und der Entschuldung der Entwicklungsländer ist schließlich genau das immer wieder passiert, man hat die Rückzahlung erwartet und gleichzeitig verhindert. Und nun exerziert Deutschland diese Haltung im Rahmen der Europäischen Währungsunion gegenüber den südeuropäischen Ländern vor, ohne eine Sekunde über diesen Irrsinn nachzudenken.
    Dafür gibt es offenkundig keine rationalen Gründe. Ein solches Verhalten der Politik kann man nur mit Ideologie oder der Dummheit der dahinterstehenden Wissenschaft erklären – oder mit beidem zugleich. Dafür spricht eindeutig, dass diese Zusammenhänge auch achtzig Jahre nachdem Herr Keynes sie für den Fall der deutschen Reparationen nach dem Ersten Weltkrieg durchdekliniert und vor den politischen Folgen eindringlich gewarnt hat, noch immer nicht Einzug in den Kanon der herrschenden Ökonomie gefunden haben und bis heute nicht an den Universitäten gelehrt werden. Déjà-vu: Wenn eine Einsicht den mikroökonomischen Horizont durchstößt und/oder zentrale Dogmen infrage stellt, wird sie ignoriert, selbst wenn das extrem hohe Kosten für die Gesellschaft mit sich bringt.
    Der eingeschränkte mikroökonomische Horizont ergibt sich hier aus der Tatsache, dass aus einzelwirtschaftlicher Sicht ein ähnlich stringenter Zusammenhang zwischen Gläubiger und Schuldner einfach nicht besteht. Der Schuldner kann seine Position meist konsolidieren, ohne jemals den Markt und den Einflussbereich des Gläubigers zu berühren. Gesamtwirtschaftlich ist das praktisch niemals möglich. Das Dogma, gegen das hier verstoßen wird, ist der Freihandel und der sich dort automatisch ergebende Ausgleich zwischen den komparativen Vorteilen des einen und des anderen (vgl. Flassbeck 2010).

MYTHOS V:
Es gibt gar keine Eurokrise, Europa ist wegen der zu hohen Staatsschulden einiger kleiner Länder in der Krise
    Die Eurokrise ist sozusagen der Höhepunkt der Verdrängung der Ursachen der Krise bzw. der Geiselnahme derselben durch die herrschende Politik und einer Form ihrer Umdeutung, die in eine Katastrophe führen muss. Wer glaubt, sich mit ideologisch geleiteter Brachialgewalt über die Ursachen von Krisen einfach hinwegsetzen zu können, muss langfristig scheitern, weil er einfach immer das Falsche tut. [4]
    Wieder begegnen wir dieser Kombination von Unwissen und Vorurteil, die keinen Widerspruch duldet. Der einmal eingeschlagene Weg soll konsequent zu Ende gegangen werden, selbst wenn alle Mauern einstürzen. Von Anfang an stand die Europäische Währungsunion ( EWU ) unter einem verhängnisvollen Stern, weil sich Deutschland darauf kaprizierte, den Staatsschulden unter den Kriterien, die für eine Mitgliedschaft qualifizierten, den mit Abstand wichtigsten Rang einzuräumen. Das ist in der Sache durch nichts gedeckt, weil es keinen engen Zusammenhang zwischen Staatsschulden und Inflation gibt. Eine Währungsunion ist aber zuvorderst eine Inflationsgemeinschaft. Länder geben die Möglichkeit, nationale Geldpolitik zu betreiben und ein nationales Inflationsziel zu verfolgen, auf, weil sie glauben, gemeinsam in einem großen Markt die geldpolitischen Instrumente effektiver einsetzen zu können, und weil bei der Inflationsrate Abweichungen von den wichtigsten Handelspartnern auf Dauer ohnehin nicht sinnvoll sind.
    Sowohl die absolute Höhe der Staatsschulden als auch die laufende Verschuldung beeinflussen die Inflationsrate eines Landes nur auf verschlungenen Wegen und auf eine quantitativ nicht nachweisbare Weise. Doch das zählt in der Politik ja nichts, wenn man sich einmal darauf eingeschossen hat, im Zuge einer Währungsunion noch ganz andere Ziele zu erreichen, etwa das generelle Zurückdrängen des Staates oder die Begrenzung der »unsoliden« staatlichen Schulden.
    Der einzig klar nachweisbare Zusammenhang ist der zwischen dem allgemeinen Kostenniveau einer Volkswirtschaft und dem Preisniveau bzw. dessen Entwicklung. Setzt man die Entwicklung der Löhne ins Verhältnis zur Entwicklung der jeweiligen nationalen Arbeitsproduktivität (das Ergebnis sind die sogenannten Lohnstückkosten), lässt sich Inflation sehr gut erklären. Grafik 3 zeigt einen über 60 Jahre hinweg äußerst stabilen Zusammenhang. Dass dieser glasklare Zusammenhang, zudem mit eindeutiger Kausalität von den Löhnen hin zu den Preisen
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