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Zehn Mythen der Krise

Zehn Mythen der Krise

Titel: Zehn Mythen der Krise
Autoren: Heiner Flassbeck
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AMECO Datenbank, Statistisches Bundesamt (Stand 11/2011), eigene Berechnungen; Werte für 2011: Schätzungen der EU-Kommission.
    Mag die Tatsache auch von allen Kommentatoren und »Experten« ignoriert werden, es ist unbestreitbar, dass Deutschland stärker als alle anderen Länder gegen das gemeinsam festgelegte Inflationsziel verstoßen hat. Man hatte sich auf eine Inflation von leicht unter zwei Prozent geeinigt und nicht auf beliebig weit unter zwei Prozent. Hätte man allen Partnern offen gesagt, es gehe vor allem um einen Zugewinn an Wettbewerbsfähigkeit, hätte man ein Inflationsziel von weit weniger als zwei Prozent festlegen und argumentieren müssen, die Preise dürften nur um ein Prozent oder überhaupt nicht steigen, um die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden. Dann wäre den anderen Ländern heute in der Tat der Vorwurf zu machen, sich nicht genügend angestrengt zu haben. Ein Inflationsziel von zwei Prozent zu beschließen, das zudem das historische deutsche Inflationsziel war, dann aber darunter zu bleiben und hinterher Begründungen zu erfinden, warum man darunter bleiben musste, es den Partnern aber nicht sagen konnte, ist lächerlich und politisch gemeingefährlich. Es wird der Punkt kommen, an dem die anderen das deutsche Machtspiel nicht mehr akzeptieren und Deutschland deswegen offen an den Pranger stellen werden.
    Anfang November 2011 hat Deutschland seinen Machtpoker auf die Spitze getrieben, indem es von der EU -Kommission verlangte, bei der Beurteilung makroökonomischer Ungleichgewichte auf die kritische Evaluierung der Überschussländer zu verzichten. Die Begründung liefert die Kommission in einem Brief an den Vorsitzenden des ECOFIN -Rates (zitiert in Müller 2011). Im Mittelpunkt steht die Aussage, es könne ja kein wirtschaftspolitischer Fehler sein, wenn ein Land seine Wettbewerbsfähigkeit verbessere, man habe sich ja schließlich in der sogenannten Lissabon-Strategie darauf geeinigt, die Wettbewerbsfähigkeit ganz Europas zu verbessern. Das ist schon deswegen falsch, weil man die Verhältnisse zwischen Ländern mit eigener Währung nicht einfach auf das Verhältnis von Ländern mit einer gemeinsamen Währung übertragen kann. Es ist aber auch falsch, weil Wettbewerbsfähigkeit immer ein relatives Konzept ist. Dass das stimmt, kann man ganz einfach daran feststellen, dass niemand die Aussage für sinnvoll hielte, die Welt als Ganzes habe ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Daraus wiederum folgt, dass der Gewinn des einen an Wettbewerbsfähigkeit der Verlust eines anderen ist – je enger der Verbund der beiden über den Handelsaustausch, umso klarer ist das. Wenn man aber nicht sicher sein kann, dass sich beide an die Regeln gehalten haben, oder wenn die Regeln selbst unklar sind, kann man nicht einfach festlegen, der Gewinner habe alles richtig gemacht, weil er ja der Gewinner ist. Wenn der Gewinner jedoch solche Entscheidungen mit Gewalt durchsetzt, zerstört er die Grundlagen für gemeinsames Handeln und gegenseitigen Handel, weil er damit die Fairness, die jedes kooperative Verhalten voraussetzt, mit Füßen tritt. In Europa kann ein solches Verhalten des größten Landes nur zu vollständiger Desintegration führen, bei der die Verlierer schließlich aus der Eurozone ausscheiden müssen, ihre Währungen drastisch abwerten und den übermächtigen Gewinner mit diesem letzten Pfeil, der ihnen noch geblieben ist, ins Herz treffen. Es ist tragisch, aber konsequent: Wer einmal die Logik auf dem Altar der eigenen Ideologie geopfert hat, verliert damit auch die Urteilskraft, um den eigenen Untergang zu verhindern.

MYTHOS VI:
Ganz unabhängig von den Ursachen: Die Staaten müssen sparen
    Bevor sich der Kreis unserer Mythen mit der Behandlung der europäischen Krise wieder schließt, gilt es drei Mythen zu behandeln, welche die europäische Problematik überlagern und das unbefangene Denken ganz enorm behindern. Fast alle Menschen und Politiker glauben nämlich erstens , dass der Staat mit dem Aufnehmen neuer Schulden etwas grundsätzlich Unanständiges tut, weil er dadurch die zukünftigen Generationen belastet; sie glauben zweitens , dass man ohne Schulden auskommen kann, und drittens , dass Inflation eine Folge übermäßiger Geldvermehrung ist. [6]
    Bei der ersten Überzeugung handelt es sich schon deswegen um einen Mythos, weil Schulden ja auch im privaten Bereich die Vermögenssituation nicht belasten, wenn mit dem geliehenen Geld Vermögenstitel erworben werden. Wenn ich
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