Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zehn Mythen der Krise

Zehn Mythen der Krise

Titel: Zehn Mythen der Krise
Autoren: Heiner Flassbeck
Vom Netzwerk:
versehen, systematisch von der herrschenden Lehre in der Volkswirtschaft ausgeblendet wird, zeigt besser als alles andere, wie dogmatisch die Kader der Neoklassik und des Neoliberalismus ausgerichtet und abgeschottet sind (vgl. Flassbeck/Spiecker 2007). Sich bei der systematischen Eindämmung der Inflation in Europa auf diesen Zusammenhang zu berufen hätte aber gleich gegen mehrere Dogmen verstoßen. Neben dem Zurückdrängen des Staates und seiner Schulden galt es vielmehr, die Bedeutung des Geldes für die Inflation und die zentrale Rolle der Unabhängigkeit der Zentralbank festzuschreiben. Die Unabhängigkeit der Zentralbanken ist seit Beginn der siebziger Jahre ein zentraler Glaubensgrundsatz des neoliberalen Gedankengutes geworden, weil sie auf eine Entstaatlichung des wichtigsten wirtschaftspolitischen Instruments, also des Zinsniveaus, hinauslief. In der Folge wurde der entscheidende Zusammenhang, der kausal naheliegende und auch statistisch eindeutige Zusammenhang zwischen Lohnstückkosten und Inflation, der allein den Erfolg einer Währungsunion garantieren kann, weitgehend ignoriert.
Exkurs: Die deutsche Währungsunion
    Ein ähnliches Muster kann man bei der deutsch-deutschen Währungsunion erkennen, die nur wenige Jahre zuvor und keineswegs mit durchgreifendem Erfolg über die Bühne gegangen ist. Auch hier verweigerte sich die Politik genau so lange einer konsequenten Ursachenanalyse der Deindustrialisierung Ostdeutschlands, bis es ihr in den Kram passte. Auch damals bestand das zentrale Problem im Auseinanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit der beiden Regionen, weil Ostdeutschland mit einem extrem hohen Wechselkurs in die Union gestartet war und sehr schnell versuchte, eine Lohnangleichung zustande zu bringen (vgl. dazu ausführlich Flassbeck/Spiecker 2007).
    Das Auseinanderlaufen der Lohnstückkosten zwischen Ost und West war für die deutsche Politik in den ersten Jahren nach dem Fall der Mauer aber überhaupt kein Thema, weil man ja fest davon überzeugt war, die Tatsache, dass es in Ostdeutschland nun eine Marktwirtschaft gab, würde ganz automatisch alles andere überspielen. Dass auch Marktwirtschaften Schocks ausgesetzt sein können, die sie bei Weitem überfordern, wurde konsequent verdrängt. Das Wirtschaftswunder war das Modell, und jeder Einwand kam entweder von Vaterlandsverrätern oder von Ewiggestrigen, die dem Sozialismus nachtrauerten.
    Erst als man im Jahr vier oder fünf der Vereinigung nicht mehr leugnen konnte, dass die »blühenden Landschaften« nach wie vor eher Steppen waren, mussten Schuldige gefunden werden. Genau da entdeckte man die Divergenz bei den Lohnstückkosten, die sich, in D-Mark gerechnet, zwischen den beiden Landesteilen ergeben hatte. Da bot es sich an, auf die Gewerkschaften einzuschlagen, die es in einem selbstzerstörerischen Akt auf sich genommen hatten, die rasche materielle Vereinigung, die der Staat trotz der vielen Hilfen nicht forciert hatte, durchzusetzen. In der Folge entwickelte sich die Wettbewerbsfähigkeit in Ost- und Westdeutschland dramatisch auseinander, ein Trend, der in der weitgehenden Deindustrialisierung Ostdeutschlands endete. Doch trotz der zeitweiligen »Einsicht« in die Problematik eines solchen Auseinanderlaufens zog man daraus für das Experiment der europäischen Währungsunion nicht den naheliegenden Schluss, dass solche Differenzen bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit der Regionen vermieden werden müssen.
    Wenn man den zentralen Zusammenhang, um den es bei einer Währungsunion geht, ignoriert und sich auf Nebenkriegsschauplätzen austobt, ist das Scheitern vorprogrammiert (vgl. Flassbeck 1997; Flassbeck/Spiecker 2005). Dass es der globalen Finanzkrise bedurfte, um das zu Tage treten zu lassen, ist nur »eine ironische Fußnote«, ein Aperçu der Geschichte. Da das Scheitern unvermeidlich war, ist der Anlass allerdings zweitrangig. Weil Deutschland in völliger Verkennung der Bedingungen in einer Währungsunion sofort nach dem Inkrafttreten der entsprechenden Verträge anfing, das gemeinsam festgelegte Inflationsziel in dem Versuch zu unterlaufen, durch Lohnsenkungen seine Wettbewerbsfähigkeit voll gegen die europäischen Partner auszuspielen, die sich nun nicht länger über die Abwertung ihrer Währungen wehren konnten, war die Währungsunion sozusagen von der ersten Stunde an auf dem Pfad in den Untergang.
    Deutschlands fester Glaube, es könne die Währungsunion nutzen, um im Wettkampf der Nationen endlich zu punkten, verletzte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher