Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael Derbort
Vom Netzwerk:
Kapitel 1
    Eine grausame Entdeckung
    1.
Berghausen erweckte seit jeher den Eindruck, hermetisch von der Außenwelt abgeschottet zu sein. Verließ man den Ortskern, blickte man nur auf Wald, Felder und Berge – sah man von drei Aussiedlerhöfen ab, die sich fast am Rande des Horizonts aus dem Boden zu erheben schienen. Lediglich eine schlecht ausgebaute Landstraße verband den Ort mit dem Nachbarort, der immerhin rund fünf Kilometer entfernt lag. In der Gegenrichtung kam die Grenze zu Österreich, die lediglich an einem verwaisten Grenzposten zu erkennen war.
    Bei der letzten Erhebung zählte man knapp sechshundert Einwohner. Trotz, oder gerade wegen, der abgeschiedenen Lage machten die fünf Gasthöfe und drei Hotels Jahr für Jahr ein gutes Geschäft. Erholungssuchende schätzten die weitgehend unberührte Natur in Alpennähe.
    Die Berge, die sich majestätisch gen Südwesten erhoben, schienen zum Greifen nahe zu sein, waren aber weit genug entfernt, dass sich ein Fußmarsch dorthin als Tagesreise entpuppen würde. Doch das Dorf verlief bereits entlang einer Hügelkette, sodass nahezu jede der schmalen Straßen, die rechts und links von der Hauptstraße abzweigten, erhebliche Steigungen aufzuweisen hatten. Im Winter waren die Anwohner oft genug gezwungen, ihre Autos an der Hauptstraße stehen zu lassen und die letzten Meter zu ihren Häusern zu Fuß zurückzulegen.
    Auf dem höchsten Hügel in der Gegend, der fast schon außerhalb des Dorfes lag, thronte die Kirche, ein Bau mit Zwiebeltürmen, der angesichts der Einwohnerzahl etwas überdimensioniert wirkte. Direkt an der Kirche befanden sich auch der Friedhof, das Pfarrhaus und einige Verwaltungsgebäude.
    Der Friedhof verfügte über höchstens hundert Gräber und war in all den Jahrhunderten nicht erweitert worden. Der Grund hierfür war einfach der, dass kein Platz mehr für eine Erweiterung zur Verfügung stand. An den steilen Böschungen konnten keine zusätzlichen Gräber mehr angelegt werden. So entwickelte sich die Tradition, dass nach Ablauf von etwa dreißig Jahren die Gebeine der Toten wieder ausgegraben und in das eigens dafür angelegte Beinhaus verbracht wurden. Demnach lagerten dort schon seit Jahrhunderten die Überreste unzähliger Generationen.
    Auch die Umbettung erfolgte immer noch nach alter Tradition. Zwei Totengräber hatten die Aufgabe, die in ihrer Obhut befindlichen Gräber nach Ablauf der gegebenen Zeit auszugraben, um neue Gräber vorzubereiten. Es wurde ausschließlich mit Hacke und Schaufel gearbeitet. Der technische Fortschritt hatte zwar auch in Berghausen Einzug erhalten, aber der schmale verwinkelte Weg mit vielen Treppenabschnitten, der sich an dem Hügel entlang schlängelte, ließ es nicht zu, Geräte, wie Bagger dorthinauf zu befördern.
    Der Versuch des Bürgermeisters, diesem Hügel einen befahrbaren Weg zu spendieren, scheiterte an dem vehementen Widerstand des Pfarrers, der sich gegen technologische Fortschritte jedweder Art wehrte. Es grenzte schon an ein Wunder, dass Kirche und Pfarrhaus über elektrischen Strom verfügten und dass im Pfarrhaus ein Telefon (ein altes Modell mit Wählscheibe) stand.
    Berghausen hielt einen ganz besonderen Rekord: Dieses Dorf war der Ort in Deutschland mit dem höchsten Durchschnittsalter. Dem legendären Pillenknick folgte, dass die fehlende Industrie und Infrastruktur kaum andere Berufe ermöglichte als Landwirtschaft und ein wenig Tourismus. Folglich wanderten immer mehr der jüngeren Bewohner ab in die größeren Städte, während die älteren blieben. Immer mehr landwirtschaftliche Fläche lag brach und immer weniger Impulse drangen in Berghausen ein.
    Immerhin zog der neue Bürgermeister die Notbremse und begann, die idyllische Lage weiter für den Tourismus zu vermarkten. Die Erfolge würden sich jedoch erst nach einigen Jahren zeigen.
    2.
Der Sommer war extrem heiß und extrem trocken. Hinzu kam, dass er schier nicht mehr aufhören wollte. Temperaturen an der Vierzig-Grad-Marke taten ihr Übriges, um vielen alten Menschen Kreislaufprobleme und dem Dorfarzt entsprechend viel Arbeit zu bescheren. So kam es auch, dass innerhalb von zwei Wochen sieben Todesfälle zu beklagen waren. Für einen Ort in dieser Größe war das doch schon eine beachtliche Zahl. Jedenfalls genug, um die Kapazitätsgrenzen des Friedhofs zu erreichen.
    Damit war es wieder an der Zeit, dass alte Gräber weichen mussten, um Platz für neue zu schaffen.
    Die Freigabe der Gräber erfolgte immer wieder nach dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher