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Maigret und der gelbe Hund

Maigret und der gelbe Hund

Titel: Maigret und der gelbe Hund
Autoren: Georges Simenon
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    Der herrenlose Hund
    Freitag, 7. November. Concarneau ist wie ausgestorben. Auf der beleuchteten Turmuhr der Altstadt, die über den Festungsmauern zu sehen ist, ist es fünf vor elf.
    Die Flut hat ihren Höhepunkt erreicht, und ein Sturm aus Südwest läßt die Kähne im Hafen aneinanderstoßen. Der Wind fegt durch die Straßen, wo man zuweilen Papierfetzen über den Boden huschen sieht.
    Kein einziges Licht auf dem Quai de l’Aiguillon. Alles ist geschlossen. Alles schläft. Nur aus den drei Fenstern des Hôtel de l’Amiral, an der Ecke, die der Platz mit dem Quai bildet, dringt noch Licht.
    Obschon die Fensterläden nicht geschlossen sind, lassen sich hinter den grünlichen Scheiben Silhouetten nur gerade noch erahnen. Und der wachhabende Zöllner, der kaum hundert Meter weiter weg in seinem Schilderhäuschen hockt, beneidet die Leute, die noch zu so später Stunde im Café sitzen.
    Ihm gegenüber im Hafenbecken liegt ein Küstenfahrer vor Anker, der am Nachmittag hier Zuflucht gesucht hat. Kein Mensch auf der Brücke. Die Taurollen knarren, und ein schlecht eingerefftes Klüversegel klatscht im Wind. Dann das ständige Tosen der Brandung, ein Klicken der Turmuhr, die elf schlagen wird.
    Die Tür des Hôtel de l’Amiral öffnet sich. Es erscheint ein Mann, der noch eine Weile durch den Türspalt hindurch mit den Leuten im Innern redet. Der Sturm packt ihn, läßt die Schöße seines Mantels flattern, reißt ihm seine Melone vom Kopf, die er gerade noch zur rechten Zeit erhascht und beim Gehen auf dem Kopf festhält.
    Selbst von weitem merkt man, daß er einen Schwips hat, unsicher auf den Beinen ist und vor sich hin trällert. Die Blicke des Zöllners folgen ihm, und er lächelt, als der Mann den Versuch unternimmt, sich eine Zigarre anzuzünden. Denn es beginnt ein komischer Kampf zwischen dem Betrunkenen, seinem Mantel, den ihm der Wind entreißen will, und seinem Hut, der den Bürgersteig entlang das Weite sucht. Zehn Streichhölzer gehen aus.
    Da bemerkt der Mann mit der Melone einen Eingang mit zwei Stufen, sucht dort Schutz, beugt sich nach vorn. Ein Licht zuckt auf, nur kurz. Der Raucher taumelt, klammert sich am Türknauf fest.
    Hat da der Zöllner nicht ein Geräusch gehört, das mit dem Sturm nichts zu tun hat? Er ist sich nicht ganz sicher. Zuerst lacht er, wie er sieht, daß der Nachtschwärmer das Gleichgewicht verliert und ein paar Schritte nach hinten macht, in einer derart gekrümmten Stellung, daß es geradezu unglaublich ist.
    Er stürzt am Rand des Bürgersteigs zu Boden, den Kopf im Schlamm der Gosse. Der Zöllner schlägt die Arme um den Leib, um sich aufzuwärmen, und blickt verstimmt zum Klüversegel, dessen Klatschen ihm auf die Nerven geht.
    Eine Minute, zwei Minuten verstreichen. Wieder ein Blick hinüber zu dem Betrunkenen, der sich nicht gerührt hat. Statt dessen ist nun aus dem Nichts ein Hund aufgetaucht, der ihn beschnuppert.
    »Erst in diesem Augenblick habe ich das Gefühl gehabt, daß irgend etwas passiert ist!« wird der Zöllner im Verlauf der Ermittlungen aussagen.
    Das Hin und Her, das dieser Szene folgte, ist in strenger chronologischer Reihenfolge schwieriger zu schildern. Der Zöllner geht auf den daliegenden Mann zu, ein wenig beruhigt durch die Anwesenheit des Hundes, eines kräftigen, gelben, bissigen Tieres. Eine Gaslaterne steht acht Meter weiter weg. Zunächst stellt der Beamte nichts Ungewöhnliches fest. Dann bemerkt er ein Loch im Mantel des Betrunkenen, und aus diesem Loch quillt eine dickliche Flüssigkeit.
    Nun läuft er zum Hôtel de l’Amiral. Das Café ist so gut wie leer. Mit dem Ellbogen auf die Kasse gestützt, ein Serviermädchen. An einem Marmortisch rauchen zwei Männer ihre Zigarren zu Ende, nach hinten gelehnt, die Beine ausgestreckt.
    »Schnell! … Ein Verbrechen … Ich weiß nicht …«
    Der Zöllner dreht sich um. Der gelbe Hund ist unmittelbar nach ihm hereingekommen und hat sich zu Füßen des Serviermädchens niedergelegt.
    Unschlüssigkeit, eine unbestimmte Angst liegt in der Luft.
    »Ihr Freund, der gerade gegangen ist …«
    Wenige Augenblicke später beugen sie sich zu dritt über den Körper, der sich nicht von der Stelle gerührt hat. Bis zum Rathaus, wo sich die Polizeiwache befindet, ist es nur ein Katzensprung. Der Zöllner bewegt sich lieber. Er eilt dorthin, außer Atem, danach läutet er bei einem Arzt Sturm.
    Und ohne diesen Anblick verdrängen zu können, wiederholt er:
    »Er ist nach hinten getaumelt wie ein Betrunkener,
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