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Maigret und der gelbe Hund

Maigret und der gelbe Hund

Titel: Maigret und der gelbe Hund
Autoren: Georges Simenon
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auf die Kasse aufgestützt und feuchtete die Mine eines Bleistifts an, um Zahlen in einem Heft, das in schwarzes Wachstuch eingeschlagen war, einzutragen.
    »Du spinnst ja!« versuchte Servières einzuwerfen.
    Es klang unecht. Der Apotheker hielt die Flasche in der einen Hand, ein Glas in der andern.
    »Strychnin …«, flüsterte der Arzt. Und er schob den andern nach draußen, kam wieder herein, den Kopf gesenkt, gelb im Gesicht.
    »Wie sind Sie darauf gekommen?« begann Maigret.
    »Keine Ahnung … Ein Zufall … Ich habe ein weißes Pulverkörnchen in meinem Glas bemerkt … Der Geruch kam mir so eigenartig vor.«
    »Kollektive Autosuggestion!« behauptete der Journalist. »Wenn ich das morgen in meinem Blatt erwähne, dann ist das der Bankrott von allen Bistros im Departement Finistère.«
    »Trinken Sie immer Pernod?«
    »Jeden Abend vor dem Essen … Emma ist so sehr daran gewöhnt, daß sie sofort welchen bringt, wenn sie feststellt, daß unsere Halben leer sind. Wir haben unsere lieben Gewohnheiten. Abends ist es dann Calvados.«
    Maigret postierte sich vor den Schrank mit den Likören und erblickte eine Flasche Calvados.
    »Nicht den da! Die dickbauchige Karaffe …«
    Er nahm sie, betrachtete sie im Licht von allen Seiten und sah ein paar weiße Pulverkörnchen. Er sagte jedoch nichts. Es war nicht nötig. Die anderen hatten begriffen.
    Inspektor Leroy trat ein, verkündete mit teilnahmsloser Stimme:
    »Der Gendarmerie ist nichts Verdächtiges aufgefallen. Keine Herumtreiber in der Gegend … Man versteht nicht …«
    Er wunderte sich über die Stille, die herrschte, über die greifbare, beklemmende Atmosphäre der Angst. Tabakqualm schwebte um die Glühlampen. Das grünliche Tuch des Billardtischs präsentierte sich wie ein kahler Rasen. Zigarettenstummel lagen auf dem Boden herum, auch Spucke hie und da im Sägemehl.
    »… sieben, behalte eins …«, sagte Emma, wobei sie die Spitze ihres Bleistifts anfeuchtete.
    Und, aufblickend, rief sie ins Hinterzimmer:
    »Ich komme, Madame!«
    Maigret stopfte seine Pfeife. Doktor Michoux starrte unentwegt auf den Boden, und seine Nase wirkte so schief wie nie zuvor. Die Schuhe von Le Pommeret glänzten, so als wären sie nie zum Gehen benutzt worden. Jean Servières zuckte hin und wieder mit den Achseln und sprach mit sich selbst.
    Alle Blicke richteten sich auf den Apotheker, als dieser mit der Flasche und einem leeren Glas wiederkam.
    Er war gelaufen. Er war völlig außer Atem. In der Tür trat er mit dem Fuß ins Leere, um irgend etwas zu verscheuchen, und brummelte:
    »Mistköter!«
    Und, kaum im Café:
    »Das ist doch wohl ein Jux, oder? Hat niemand davon getrunken?«
    »Was ist?«
    »Strychnin, ja! Man muß es vor höchstens einer halben Stunde in die Flasche getan haben.«
    Mit Grausen betrachtete er die noch vollen Gläser, die fünf schweigenden Männer.
    »Was soll das heißen? Das ist unerhört! Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren! Letzte Nacht wird neben meiner Haustür ein Mann umgebracht … Und heute …«
    Maigret nahm ihm die Flasche aus der Hand. Emma kam wieder, teilnahmslos, und zeigte über der Kasse ihr längliches Gesicht mit den Ringen unter den Augen, den schmalen Lippen, ihr schlecht gekämmtes Haar, auf dem das bretonische Häubchen fortwährend nach links rutschte, obwohl sie es ständig zurechtschob.
    Le Pommeret ging mit großen Schritten auf und ab, wobei er seine glänzenden Schuhe betrachtete. Jean Servières starrte regungslos die Gläser an, und mit einer Stimme, die von einem Schluchzen des Entsetzens gedämpft wurde, platzte es auf einmal aus ihm heraus:
    »Um Gottes Willen!«
    Der Arzt zog die Schultern ein.

2
    Der Doktor in Hausschuhen
    Inspektor Leroy, der fünfundzwanzig Jahre alt war, glich eher einem sogenannten wohlerzogenen jungen Mann als einem Polizeiinspektor. Er kam gerade von der Schule. Dies war sein erster Fall, und seit einer Weile beobachtete er Maigret mit betrübter Miene und versuchte unauffällig seine Aufmerksamkeit zu erregen. Schließlich flüsterte er errötend:
    »Entschuldigen Sie, Kommissar … Aber … die Fingerabdrücke …«
    Er mußte wohl glauben, daß sein Chef von der alten Schule sei und nichts vom Wert der wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden wisse, denn Maigret tat einen Zug aus seiner Pfeife und meinte:
    »Wenn Sie wollen …«
    Schon war Inspektor Leroy verschwunden und trug die Flasche und die Gläser behutsam auf sein Zimmer, wo er dann den Abend damit verbrachte, eine
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