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Maigret und der gelbe Hund

Maigret und der gelbe Hund

Titel: Maigret und der gelbe Hund
Autoren: Georges Simenon
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Kommissar, ich wußte nicht mehr, was ich tat! Michoux hatte mich den Brief schreiben lassen. Zu guter Letzt hatte ich den Hund erkannt. Am Sonntag morgen habe ich Léon umherstreifen sehen. Da habe ich begriffen. Ich habe versucht, mit Léon zu reden, aber er ist fortgegangen, ohne mich auch nur anzusehen, und hat auf den Boden gespuckt. Ich wollte ihn rächen. Ich wollte … Was weiß ich! … Ich war wie verrückt. Ich wußte, daß sie ihn umbringen wollten. Ich liebte ihn noch immer. Den ganzen Tag habe ich mir alles mögliche durch den Kopf gehen lassen. Am Mittag bin ich während des Essens zur Villa Michoux gelaufen, um das Gift zu holen. Ich wußte nicht, welches ich aussuchen sollte. Er hatte mir schon einmal die Fläschchen gezeigt und mir dabei gesagt, daß man ganz Concarneau damit umbringen könnte.
    Aber ich schwöre Ihnen, Sie hätte ich nicht trinken lassen. Zumindest glaube ich es nicht.«
    Sie schluchzte. Léon tätschelte ihr unbeholfen das Knie, um sie zu beruhigen.
    »Ich werde es Ihnen nie genug danken können, Kommissar«, rief sie unter Schluchzen aus. »Was Sie getan haben, das ist … das ist … Mir fehlen die Worte … das ist so wunderbar!«
    Maigret schaute die beiden an – ihn mit seiner aufgesprungenen Lippe, seinem kurzgeschorenen Haar und seiner Verbrechervisage, die begann, wieder menschliche Züge anzunehmen, sie mit ihrem armseligen Gesicht, das in diesem Aquarium von Café verblaßt war.
    »Was haben Sie vor?«
    »Keine Ahnung … Weg aus dieser Gegend … Vielleicht nach Le Havre? Im Hafen von New York habe ich schon Mittel und Wege gefunden, meinen Lebensunterhalt zu verdienen.«
    »Hat man Ihnen Ihre zwölf Francs zurückgegeben?«
    Léon wurde rot und antwortete nicht.
    »Was kostet der Zug von hier nach Le Havre?«
    »Nein! Tun Sie das nicht, Kommissar … Denn dann … wüßten wir nicht … Verstehen Sie?«
    Maigret klopfte mit dem Finger gegen die Trennscheibe des Wagens, denn man fuhr gerade an einem kleinen Bahnhof vorbei. Er zog zwei Scheine zu hundert Francs aus seiner Tasche.
    »Nehmen Sie sie. Ich werde sie auf meine Spesenrechnung setzen.«
    Und er schob sie schon fast hinaus und schlug die Tür wieder zu, während sie noch versuchten, sich zu bedanken.
    »Nach Concarneau! Aber schnell!«
    Ganz allein im Wagen, zuckte er mindestens dreimal mit den Achseln, wie ein Mann, der sich unbedingt über sich selber lustig machen will.
     
    Der Prozeß dauerte ein Jahr. Ein Jahr lang erschien Doktor Michoux bis zu fünfmal wöchentlich beim Untersuchungsrichter, mit einer Saffianaktentasche, vollgestopft mit Unterlagen.
    Und jede Vernehmung erbrachte weiteren Stoff für Rechtsverdrehungen.
    Jedes Dokument der Akten führte zu Kontroversen, Beweisaufnahmen und Gegenbeweisaufnahmen.
    Michoux wurde immer magerer, immer gelber, immer kränklicher, aber die Waffen streckte er nicht.
    »Gestatten Sie einem Mann, der höchstens noch drei Monate zu leben hat …«
    Dies war sein Lieblingssatz. Er verteidigte sich Schritt für Schritt, mit hinterhältigen Tricks, unerwarteten Gegenstößen. Und er hatte einen Anwalt gefunden, der noch galliger war als er selber, mit dem er sich ablöste.
    Verurteilt zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit durch das Schwurgericht des Departements Finistère, wartete er volle sechs Monate darauf, daß sein Fall in die Revision ginge.
    Aber auf einem Foto, das höchstens einen Monat alt war und in allen Zeitungen erschien, konnte man ihn dann sehen, noch immer mager und gelb, mit schiefer Nase, den Sack auf dem Buckel, die Kappe auf dem Kopf, wie er sich auf der Ile de Ré auf der »La-Martinière« einschiffte, die hundertachtzig Zwangsarbeiter nach Cayenne brachte.
    Madame Michoux, die eine dreimonatige Gefängnisstrafe verbüßt hatte, intrigierte in Paris in politischen Kreisen. Sie strebte die Revision des Prozesses an.
    Zwei Zeitungen hatte sie schon auf ihrer Seite.
    Léon Le Glérec war auf Heringsfang in der Nordsee an Bord der »La Francette«, und seine Frau erwartete ein Kind.
     
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