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Rolandsrache

Rolandsrache

Titel: Rolandsrache
Autoren: Kirsten Riedt
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Prolog
    Mit angehaltenem Atem wartete Heinrich auf das Sirren der Peitsche.
    »Das ist das Erbe, welches dieser Hurenbock von einem Vater, der selbst der Sünde des Fleisches erlegen ist, dir vermacht hat! Wir werden es austreiben und deinen Körper und deine Seele reinigen! Bereue deine unzüchtigen Gedanken!«
    Zum vierten Mal ließ sein Onkel, der Domdekan, die Peitsche bereits auf ihn niedersausen. Ein lähmender Schmerz, der ihm die Luft raubte, fuhr durch seinen Körper. Heinrich schrie so lange, bis sein Körper nach Luft verlangte, aber es gab kein Erbarmen. Warm, fast wie eine Erlösung, lief das Blut aus den Wunden und tropfte auf den Stein, auf dem er mit entblößtem Oberkörper lag. Sein Blut vermischte sich mit dem vieler anderer, die hier ihre Strafe erhalten hatten.
    Die Mauern aus nacktem Stein warfen seinen Schrei um ein Vielfaches zurück. Eine einzige brennende Fackel ließ wilde Schatten an den Wänden entstehen.
    Sein Atem kam in kleinen Nebelwolken aus seinem Mund, doch er spürte keine Kälte, nur das Brennen seiner zahlreichen Wunden.
    Schon hörte er es wieder sirren, doch nun würde nicht er das Ziel sein, sondern sein Onkel selbst. Jeden Schlag, den er ihm zufügte, tat er auch sich selbst an. Doch schrie er nicht, er stöhnte nur kurz auf. Für einen Moment rang er leise nach Luft, dann fing er sich wieder.
    »Der Herr sagte: ›Wenn du fromm bist, so bist du angenehm; bist du aber nicht fromm, so ruht die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie‹.« Er sprach unter Tränen, litt ebenso wie er.
    »Ich bereue –« Das Zischen der Peitsche unterbrach Heinrich.
    Eine weitere Stelle auf seinem Rücken brach auf. Er weinte und schrie aus tiefster Seele, doch es linderte nicht den Schmerz; ihm wurde schwarz vor Augen, und er hieß die Ohnmacht willkommen.
    Als sein Onkel sich wieder selbst züchtigte, riss der Knall Heinrich aus der rettenden Umarmung des Schlafs.
    »Wolllust, sündige Gedanken und Ungehorsam. Herr, vergib ihm!« Inbrünstig sprach der Domdekan die letzten Worte.
    Heinrich jedoch hatte keine Kraft mehr zu schreien, als das Strafinstrument wiederholt sein Ziel fand. Willenlos zuckte sein Körper. Die Schatten an den Wänden schienen ihn aufsaugen zu wollen, und er war bereit, ihnen zu folgen. Alles, nur fort von hier, fort von dieser Qual.
    Sofort folgte ein weiterer Knall, wieder peinigte der Onkel sich selbst, dann zitierte er mit fester Stimme eine weitere Stelle aus der Bibel:
    »›So will ich ihre Sünde mit der Rute heimsuchen und ihre Missetat mit Plagen‹.« Er machte eine Pause, atmete tief ein, ehe er weitersprach. »Willst du der Sünde abschwören und dich wieder Gott, dem Allmächtigen, zuwenden? Willst du das?«
    In Erwartung des folgenden Schmerzes kniff Heinrich die Augen zusammen und presste die Zähne fest aufeinander, doch es geschah nichts. Sein Onkel wartete offenbar seine Antwort ab.
    Er hatte jedoch kaum genug Luft zum Reden, sein Körper brannte wie Feuer, sein Rücken konnte nur noch aus rohem Fleisch bestehen. »Ja, ja, das … will ich.« Mühsam und unter Tränen presste er die Worte hervor. Die Peitsche fiel zu Boden, und sein Onkel warf sich über ihn, streichelte seinen Kopf und weinte mit ihm.
    Behutsam hob er Heinrich an, doch jede Bewegung drohte ihm den Rücken zu zerreißen. Als Heinrich endlich aufrecht saß, begann ihn sein Onkel, dessen Kehrseite selbst von zahlreichen Wunden gezeichnet war, vorsichtig mit einem nassen Tuch abzutupfen.
    »Onkel …«
    »Lass uns zusammen beten und um Vergebung für dich bitten.«
    Heinrich nickte stumm. Sie sprachen das Gebet, und er spürte eine tiefe Erleichterung.
    Anschließend rieben sie sich gegenseitig mit einer übel riechenden Paste aus einem Tontopf ein, die ihnen sofort Linderung verschaffte.
    »Ich kann dich mit mir nehmen, weg aus diesem sündigen Haus, weg von der Versuchung. Willst du das, Heinrich?«
    »Ja, Onkel.« Nie zuvor hatte er für jemanden mehr Zuneigung und gleichzeitig einen so tiefen Hass empfunden wie in diesem Moment.
    »Wenn du folgsam bist, kannst du es weit bringen. Vielleicht wirst du eines Tages sogar meine Robe tragen.«

1
    »Und ihr wollt mir noch immer nicht verraten, wer das werden soll?« Anna deutete auf den behauenen Stein, in welchem sie bereits ein Gesicht erkennen konnte.
    Ihr Vater lächelte verschmitzt. »Das wirst du noch früh genug erfahren, mein Kind.«
    »Aber jeder kann doch sehen, wer das wird!« So leicht
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