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Die Einsamkeit des Barista

Die Einsamkeit des Barista

Titel: Die Einsamkeit des Barista
Autoren: Marco Malvaldi
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die Schnur um den Finger, dann begann er, den Hausschlüssel zu suchen.
    Alles in allem war die Hochzeit lustig gewesen. Ein bisschen, weil Marchino und seine Freunde Chaoten allererster Güte waren, aber auf eine liebenswerte, niemals ärgerliche Weise. Ein bisschen, weil Massimo es geschafft hatte, sich für den Streich zu rächen, den ihm Tiziana gespielt hatte, als sie ihn ihrerseits um einen Gefallen für die Recherche in Fabbricottis Akten in der Kanzlei des Notars gebeten hatte.
    »Aber warum denn ich?«
    »Weil es sonst niemand macht. Fast alle sind Atheisten oder gehen seit Ewigkeiten nicht mehr in die Kirche. Für die erste Lesung habe ich schon jemanden gefunden. Aber mir fehlt noch einer.«
    »Und warum dann ich? Ich bin auch Atheist. Entschuldige, aber du weißt, dass mir das peinlich ist.«
    »Wer’s glaubt«, warf Aldo ein. »Du bist mit Schwimmflossen an den Füßen zum Examen an der Uni angetreten, und jetzt schämst du dich, in der Kirche ein Stück aus der Bibel vorzulesen?«
    »Das war eine Wette. Abgesehen davon, könnte vielleicht mal irgendjemand in dieser Bar anfangen, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern? Nur mal so, nur um mal was Neues auszuprobieren?«
    »Komm schon, Massimo, sei so gut …«
    Sie hatte ihm den ganzen Tag lang die Hölle heiß gemacht, bis er endlich zugesagt hatte.
    »Na gut, Tiziana, aber den Text suche ich aus.«
    »Es muss aber aus der Bibel sein, das weißt du? Aus den Paulusbriefen.«
    »Sicher. Aus den Paulusbriefen. Die zweite Lesung. Ein bisschen was kann ich mir schon noch merken.«
    Und so war Massimo nach der Lesung der Psalmen zur Kanzel gegangen und hatte die Bibel auf der markierten Seite aufgeschlagen. Vor ihm saßen Tiziana und Marchino, ganz manierlich, die gefalteten Hände vor sich auf der Bank aufgestützt. Nachdem er sich geräuspert hatte, hatte Massimo mit klarer Stimme angekündigt: »Aus dem Brief des heiligen Paulus an die Epheser.« Und dann hatte er in feierlichem Tonfall weitergelesen: »Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi. Die Frauen sollen sich ihren Männern unterordnen wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist, die er als seinen Leib erlöst hat.«
    Nach einem theatralischen Seufzer und nachdem er die Eheleute mit einem beredten Blick bedacht hatte, als wollte er entschuldigend sagen: »heilige Worte«, war Massimo mit predigerhafter Miene fortgefahren: »Aber wie nun die Gemeinde sich Christus unterordnet, so sollen auch die Frauen sich ihren Männern unterordnen« – Massimo hatte einen weiteren emphatischen Seufzer ausgestoßen, um dann mit schwerer Betonung zu enden – »in allem.«
    Nach einer kurzen Pause hatte er Tiziana angelächelt und, wie um sich zu rechtfertigen, geschlossen: »Das Wort Gottes.«
    »Dank sei Gott dem Herrn«, hatte Tiziana mit zusammengebissenen Zähnen erwidert.
    »Aber stehen solche Sachen wirklich in der Bibel?«
    »Sicher. Brief an die Epheser, Kapitel fünf, Vers einundzwanzig bis sechsundzwanzig. Der heilige Paulus, nicht irgendein Quatsch. Auch wenn die Zuschreibung dieses Briefes etwas unsicher ist. Jedenfalls hat die Kirche ihn offiziell als Wort Gottes aufgenommen, also …«
    In der Frische der ersten Septembertage genoss Massimo den Empfang, endlich einmal Gast, nicht Kellner. Um ihn herum hatten sich, wie aus natürlicher Empathie, die Alten geschart, die en bloc zur Hochzeit eingeladen worden waren, zusammen mit den Frauen: Großmutter Tilde – dick und schwerfällig, aber überaus effizient, wenn’s ums Essen ging, sie hatte bereits eine beschämende Anzahl kleiner Törtchen vertilgt und wiederholt erklärt, dass ihre besser schmeckten – hatte die anderen Damen zum Tisch der Braut geführt, um sie zu ihrem Kleid und ihrem Mann zu beglückwünschen.
    »Mamma mia, was habe ich gelacht!«, sagte Aldo, in der einen Hand einen kleinen Prosecco und die andere auf der Verlängerung eines Gipspanzers abgelegt, die Handfläche nach unten und den Daumen angewinkelt, eine Geste, die vage an einen halbherzigen römischen Gruß erinnerte. »Es tut mir nur leid, dass ich Tizianas Blick nicht sehen konnte. Hör mal, Massimo, wo du schon mal hier bist, erklärst du mir eine Sache, die du mir noch nie erklärt hast?«
    »Wie du willst.«
    Hauptsache, es geht nicht um das Verbrechen. Für einen Augenblick hörte Massimo auf, sich zu entspannen.
    »Die Geschichte mit der Wette. Seit ich von der Leiter gefallen bin, war ich nicht
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