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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin
Autoren: Der Uebergang
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Justin Cronin
     
    DER ÜBERGANG
     
    ROMAN
     
    Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt
     
    Meinen Kindern. Träumt nichts Schlimmes.
     
    Sah ich der Alten stolze Wunderpracht
    Durch Wütrichs Hand der Zeit gestürzt
verwittern,
    Der Erde hohe Türme gleichgemacht,
    Unsterblich Erz vor Menschenwut erzittern:
    Sah ich die gierige See am Königreich
    Der Meeresküsten überflutend zehren,
    Die Feste dann, an Wasserschätzen reich,
    Fülle mit Raub, und Raub mit Fülle mehren:
    Wenn ich dies Wandelleben übersah,
    Ja Leben selbst zum Untergang getrieben,
    Kam unter Trümmern mir dies Grübeln nah:
    Einst kommt auch Zeit und fordert deinen Lieben.
-
    Solch ein Gedank' ist wie ein Tod; er treibt
    Zum Weinen, dass du hast, was dir nicht bleibt.
    William Shakespeare, Sonett
68
     
    Teil I
     
    Der schlimmste Traum der Welt
     
    5-1 v.V.
     
     
    Der Weg zum Tod ist ein langer Marsch durch
allerlei Unheil, und das Herz verzagt hei jedem neuen Grauen etwas mehr, die
Knochen begehren auf bei jedem Schritt, der Geist leistet seinen eigenen
Widerstand, und zu welchem Ende? Eine nach der anderen fallen die Barrieren,
und kein Augenschließen kann die Landschaft des Verderbens verhüllen noch den
Anblick der dort begangenen Verbrechen.
     
    Katherine Anne Porter, Fahles
Pferd, fahler Reiter
     
    1
     
    Bevor sie Das Mädchen Von Nirgendwo wurde - das
Mädchen, das plötzlich auftauchte, Die Erste Und Letzte Und Einzige, die
tausend Jahre lebte -, war sie nur ein kleines Mädchen aus Iowa und hieß Amy.
Amy Harper Bellafonte.
    Als Amy geboren wurde, war ihre Mutter Jeanette
neunzehn. Jeanette taufte das Baby Amy nach ihrer eigenen Mutter, die schon
lange tot war, und den zweiten Vornamen, Harper, gab sie ihr nach Harper Lee,
der Frau, die Wer die Nachtigall stört geschrieben
hatte, Jeanettes Lieblingsbuch - und obendrein das einzige Buch, das sie auf
der Highschool von Anfang bis Ende gelesen hatte. Sie hätte sie vielleicht auch
Scout genannt, nach dem kleinen Mädchen in dem Buch, denn sie wollte, dass ihr
kleines Mädchen genauso wurde, zäh und komisch und klug - so, wie sie selbst,
Jeanette, nie hatte werden können. Aber Scout war ein Jungenname, und sie
wollte nicht, dass ihre Tochter ihr Leben lang erklären musste, warum sie so
hieß.
    Amys Vater war ein Mann, der eines Tages in das
Lokal hereingeschneit kam, in dem Jeanette schon seit ihrem sechzehnten Lebensjahr
bediente; ein Diner, der bei allen nur The Box hieß, weil er genauso aussah:
wie ein großer, verchromter Schuhkarton neben der Landstraße. Rechts und links
nur Mais- und Bohnenfelder, und meilenweit sonst gar nichts außer einer
Autowaschanlage mit Selbstbedienung, so einer, wo man Münzen einwerfen und dann
die ganze Arbeit selbst tun musste. Der Mann, der Bill Reynolds hieß,
verkaufte große Landmaschinen, Mähdrescher und solche Sachen, und er war ein
Schmeichler und erzählte Jeanette, als sie ihm seinen Kaffee einschenkte und
danach immer wieder, wie hübsch sie doch sei und wie gut ihm ihr
kohlrabenschwarzes Haar und ihre nussbraunen Augen und ihre schlanken
Handgelenke gefielen. Und es klang so, als meinte er es wirklich ernst, nicht
wie die Jungs in der Schule, die so etwas nur sagten, um sie rumzukriegen. Er
hatte ein großes Auto, einen neuen Pontiac mit einem Armaturenbrett, das
glänzte wie ein Raumschiff, und mit Ledersitzen, so weich wie Butter. Sie
hätte diesen Mann lieben können, dachte sie, ihn wirklich und wahrhaftig lieben
können. Aber er blieb nur ein paar Tage in der Stadt und fuhr dann weiter. Als
sie ihrem Vater erzählte, was passiert war, wollte er sich den Kerl schnappen
und dafür sorgen, dass er für alles geradestand. Aber was Jeanette wusste und
nicht sagte, war dies: Bill Reynolds war ein verheirateter Mann. Er hatte eine
Familie in Lincoln, weit weg in Nebraska. Er hatte ihr sogar die Fotos seiner
Kinder in seiner Brieftasche gezeigt, zwei kleine Jungs in Baseball-Trikots,
Bobby und Billy. Und deshalb sagte sie ihrem Vater nicht, wer der Mann war, der
ihr das angetan hatte, auch wenn er sie noch so oft fragte. Sie verriet ihm
nicht einmal seinen Namen.
    Und um ehrlich zu sein, machte ihr das alles
nichts aus: nicht die Schwangerschaft, die bis zum Schluss problemlos verlief,
nicht die Entbindung, die kurz, aber schwer war, und schon gar nicht das Baby,
ihre kleine Amy. Um Jeanette zu zeigen, dass er ihr verziehen hatte, hatte ihr
Vater das alte Zimmer ihres Bruders als Kinderzimmer hergerichtet, sogar das
alte
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