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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Autoren: Bianka Minte-König
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Amadeus war, brach ich schreiend und von Krämpfen geschüttelt in seinen Armen zusammen.

    Ich stand zwischen Kanonen, Flammenwerfern, explodierenden Gasminen und Gasgranaten; Gasmasken verhüllten jedes Gesicht und entmenschlichten es. Immer neue Soldaten auf Lastwagen wurden angekarrt und von gegnerischen Maschinengewehrsalven niedergemäht. Den Gefallenen zog man die Röcke vom Leib … da lagen die Nackten übereinander im Massengrab der Schützengräben, da lag mein Geliebter unter ihnen, nackt und bloß … und als ich hineilte, um ihn mit meinem wärmenden Leib zu bedecken, da zerf iel er vor meinen Augen zu schwarzgelbem giftigem Staub.

    Ich schrie, schrie und schrie! Die Nächte hindurch und die Tage, und immer wenn ich die Augen öffnete, saß Friedrich bei mir und schien mit mir zusammen jeweils ein kleines Stück zu sterben.
    Dann konnte ich nicht mehr schreien, weil mir die Stimme versagte, und ich weinte nur noch stumm. Schließlichwaren auch die Tränen versiegt und der Schmerz zog sich nach innen, wo er weiterfraß und mein Herz zerriss.
    Eines Abends stand Amanda neben mir und legte ihre Hand auf die meine, die in der verkrampften Faust immer noch die Erkennungsmarke von Amadeus hielt.
    »Geh du nicht auch noch fort«, bat sie flehend.
    Sie küsste mich, als sie aufstand, und mit ihr verließ Friedrich mein Zimmer. Hängende Schultern, schleifender Schritt, selbst schon zerstört und nun noch bis ins Mark erschüttert über den Verlust seines besten Freundes. Ich hätte ihn und Amanda aufrichten müssen, ihnen seelischen Beistand anbieten, ihren Schmerz mit dem meinen verbinden und das Leid mit ihnen teilen müssen. Doch ich vermochte es nicht. Ich ließ sie gehen ohne ein tröstendes Wort. Denn ich hatte keinen Trost.
    Ich saß da wie versteinert. Meine Hand umfasste noch immer die Erkennungsmarke, das Letzte, was mir von Amadeus auf dieser Erde jetzt noch blieb.
    Seit Amadeus zum Vampir geworden war, hatte ich die ständige Angst, ihn zu verlieren, eingetauscht gegen die beruhigende Gewissheit, dass unsere Unsterblichkeit ein Dasein in ewiger Unversehrtheit garantieren würde.
    Eine trügerische Sicherheit. Und verzweifelt fragte ich mich, wie mein Gebliebter gestorben war? Zwischen all den widerwärtigen Möglichkeiten konnte ich jedoch einzig und allein die Vorstellung akzeptieren, dass Amadeus vielleicht bei Sonnenaufgang verletzt im Feld gelegen hatte und die Dämmerung des Unterstandes nicht mehr rechtzeitig erreichen konnte. So hätte er wenigstens das Grauen der nächtlichen Angriffe überlebt, um würdig den Tod eines Vampirs zu sterben und im Licht des neuen Tages zu Staub zu zerfallen.
    Ein wenig Neid schlich sich in meine Gedanken, denn zu oft schon hatte ich mir dieses Ende in meinen schwermütigen Phasen selbst herbeigesehnt. Einmal aus dem Dunkel treten und für immer im Licht sein!
    Die Glut des Gegenstandes in meiner Hand stieg über den linken Arm hinauf bis zu meinem Herzen und entfachte dort einen letzten tödlichen Brand meiner Liebe.
    Dann war Ruhe. Eine sanfte, kühle Ruhe, die sich in alle Körperregionen verströmte. Sie war mild und wohltuend und ließ mich wünschen, für immer so verharren zu können.
    Amadeus war tot. Schon als er diesmal ging, hatte ich die dunkle Ahnung gehabt, dass er nur deswegen noch einmal in den Krieg gezogen war, um dort zu sterben. Sein Schicksal hatte sich, wie es schien, erfüllt.
    Es war diese Erkenntnis, die in mir ein seltsames Gefühl der Erleichterung auslöste, und bald schon drängte sich mir ein Gedanke auf, der sich zu einem unbändigen Verlangen aufblähte. Ja, ich wurde geradezu befallen von dem Zwang, die schweren Vorhänge vor dem Fenster zu öffnen, die Flügel weit aufzustoßen und das Sonnenlicht hereinzulassen, um Amadeus in den Tod zu folgen.
    Sterben erschien mir plötzlich so leicht, so logisch. Von allen Alternativen die beste Wahl.
    Warum nicht, bevor das seelische Siechtum meinen Verstand und mein Dasein irgendwann immer mehr verdunkelte, selber bewusst ein Ende setzen? Ein Ende, das mich zu meinem Geliebten bringen würde. Die Erlösung im Licht, zu dem ich strebte, seit ich die Sonne des Lebens verloren hatte. Vor vierhundert Jahren auf dem Schindanger von Przytulek.
    Aber bevor ich die Faust öffnen konnte, um die verbeulteErkennungsmarkte noch einmal zu betrachten, fühlte ich geisterhaft, jedoch ganz intensiv eine zarte, kühle Hand auf der meinen. Amanda, mein Kind, die Tochter, von der ich nicht sicher wusste,
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