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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Autoren: Bianka Minte-König
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schwang, da war er totenblass und seine Wangen wirkten eingefallen, so als litte er an einer inneren Wunde, aus der heraus, wie durch einen geheimem Aderlass, sein Lebenssaft versickerte. Vielleicht aber bildete ich mir das auch nur ein, denn Friedrich gab sich betont locker undversuchte gute Laune zu verbreiten. Auch das vermochte uns nicht aufzuheitern und als Amadeus mich noch einmal zum Abschied küsste, da umwehte ihn eine düstere Melancholie, die nicht nur vampirische Wesenseigenschaft war, sondern unheilvolle Todesdrohung. Seine letzten Worte an mich erschienen mir darum seltsam traurig und schwer: »Achte auf Amanda! Sie wird dir bleiben, wenn ich nicht mehr sein sollte.«
    »Genug von diesem Unsinn!«, rief Friedrich entschieden, warf uns allen eine Kusshand zu und gab dem Pferd von Amadeus einen Klaps mit der Gerte. »Wir kommen beide wieder und seid gewiss, wir bringen euch diesmal den Frieden mit!«

    A ber so schnell wollte es mit dem Frieden nicht klappen. Erneut erlebten wir einen Hungerwinter, der eisig war und erbarmungslos und den ich wegen der frostigen Stimmung zwischen Gertruds Familie und mir und Amanda noch schlimmer empfand als im Jahr zuvor.
    Längst blieben die Kokslieferungen aus und wir konnten froh sein, noch über genügend Bruchholz aus dem Dezembersturm von 1915 zu verfügen, um wenigstens nicht frieren zu müssen. Wir hatten im Frühling Küken bekommen und darum noch Hühner und deren Eier. Auch hatte Käthe im Sommer und Herbst fleißig Obst und Gemüse eingekocht. Nur die Kartoffelernte war durch eine Kartoffelkäferplage wieder magerer als erhofft ausgefallen, denn obwohl alle tagelang auf den Äckern Käfer gesammelt hatten, wurden uns doch in kürzester Zeit viele Kartoffelpflanzen bis auf den Stumpf abgefressen.
    Dennoch mussten wir bei Weitem nicht solche Notleiden wie die Städter, denen sämtliche Nahrungsmittel nun rationiert wurden und die auf ihre Lebensmittelmarken kaum das Nötigste erhielten.
    So war es nur verständlich, dass die Bevölkerung eine immer größere Kriegsmüdigkeit ergriff.
    Im Januar kam es zu Massenstreiks in Berlin, die besonders auch die rüstungsrelevanten Industriezweige betrafen, und Vanderborg schloss die Wohnung in der Brüderstraße und zog ebenfalls zu uns auf das Gut. Er war sehr gealtert und die Lust an der Zauberei war ihm vergangen, solange er sich im Ungewissen über Friedrichs Schicksal befand. Zudem lebte er in ständiger Furcht, dass Hansmann noch zum Frontdienst zwangsverpflichtet werden könnte, aber da er in der Landwirtschaft arbeitete und somit eine wichtige Funktion für die Versorgung der Bevölkerung innehatte, war er bisher verschont geblieben.
    Unsere Pferde allerdings hatten kein so gnädiges Schicksal. Nachdem wir durch unglaubliches Glück bisher davongekommen waren, trieb man uns im Januar unsere besten Tiere, darunter auch Amandas Hengst Baldur, vom Hof, was dazu führte, dass Amanda sich wie eine Furie den Soldaten an den Hals warf und im entstehenden Handgemenge einen von ihnen biss.
    Zwar war es nur ein kleiner Kratzer, weil ich sie sofort zurückriss, aber Gertrud und Hansmann nahmen es erneut zum Anlass, sie zu einer geradezu gemeingefährlichen Irren abzustempeln.
    »Du solltest sie einem Nervenarzt vorstellen«, schlug Hansmann allen Ernstes vor. »Sie braucht fachliche Betreuung und du den unvoreingenommenen Rat einer Kapazität auf diesem Gebiet.«
    »Welchem Gebiet?«, fuhr ich ihn empört an.
    »Der seelischen Erkrankung.«
    »So willst du sie in eine Irrenanstalt stecken?! Warum ersäufst du sie nicht gleich im See wie eine lästige Katze?«
    Ich tobte vor Zorn.
    »Nur zu, mein Lieber, aber vergiss nicht, mich ebenfalls in den Sack zu stecken, dann bist du uns auf einen Schlag los und kannst alleine mit deiner Sippschaft auf dem Gut residieren. Gib doch zu, dass das schon lange dein Plan ist!«
    Gertrud wurde blass und Hansmann rot, beiden stand es nicht besonders zu Gesicht, was aber nichts daran änderte, dass sie sich vehement gegen meine, wie sie es nannten, »völlig absurde Unterstellung« wehrten.
    Schließlich legte Gertrud ihren Arm um mich und führte mich ins Haus. »Es ist nicht so, wie du denkst, Estelle«, sagte sie leise und mit kaum unterdrückten Tränen in den Augen. »Wirklich nicht, wir lieben dich und sind dir dankbar, dass wir die schwere Zeit des Krieges hier bei dir verbringen dürfen. Aber wenn erst Frieden ist, wird Hansmann sein Geschäft in Berlin neu eröffnen und wir werden
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