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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Autoren: Bianka Minte-König
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Gerücht auf, dass Vampire den Ort heimsuchen würden.
    Kurz davor, im Jahre 1897, hatte ein Engländer namens Bram Stoker ein dramatisches und überaus absonderliches Werk über einen Vampir namens Dracula veröffentlicht, das nicht nur im Britischen Königreich, sondern auch in Berlin viel Aufsehen erregte und welches, wie schon zuvor die Erzählung Carmilla von Joseph Sheridan LeFanu, eine von wohligem Schauder begleitete Debatte über Untote und menschenähnliche Blutsauger in den literarischen Zirkeln der Reichshauptstadt auslöste.
    Just zu dem Zeitpunkt studierte Vanderborg die Lettres à une princesse d ’Allemagne des 1783 verstorbenen Physikers Leonhard Euler und setzte sich mit dessen darinexplizierter Theorie des »Äthers« und seiner Bedeutung für Magnetismus, Elektrizität und Licht auseinander. Die Fähigkeit des Euler’schen Äthers, jede Pore der belebten und unbelebten Materie zu durchdringen, faszinierte ihn über alle Maßen. Angeregt davon und von den Entdeckungen Franklins und Faradays, welche Methoden zur Beherrschung der Elektrizität entwickelt hatten, experimentierte Vanderborg erneut mit dem Elektromagnetismus. Den entscheidenden Impuls erhielten seine Forschungen aber, weil es Heinrich Hertz gelang, mit elektrischen Funken elektromagnetische Wellen zu erzeugen. So entwickelte Vanderborg schließlich eine Maschine, mit der er nur mithilfe elektromagnetischer Ätherwellen Lebewesen fangen wollte, und tatsächlich gelang es ihm, mit starken elektrischen Strömen ein Magnet- und Strahlungsfeld zu erzeugen, in dem Vögel wie tot zu Boden sanken. Stellte man die Maschine ab, so erwachten sie wundersamerweise wieder zum Leben und flogen unversehrt davon.
    »Es ist der elektromagnetische Äther«, behauptete Vanderborg steif und fest, obwohl die aktuelle naturwissenschaftliche Diskussion – ohne seine generellen Verdienste zu schmälern – speziell von dieser Theorie Eulers eher Abstand nahm.
    »Was zählt, sind Fakten«, blieb Vanderborg jedoch unbeirrt, und so sah es auch der Große Pilati.
    »Sollen die gelehrten Köpfe an den Universitäten doch ruhig behaupten, dass die Theorie nicht funktionieren kann!«, sagte er mit einer verächtlichen Handbewegung. »Die hinken der Praxis doch immer hinterher. Die haben auch noch steif und fest behauptet, dass sich die Sonne um die Erde drehe, als Galileo längst das Gegenteil bewiesen hatte.«
    Und so war es der Große Pilati, der, angestachelt von den aktuellen Vampirgeschichten in den Gazetten, Vanderborg anregte, doch eine Maschine zu bauen, mit welcher man »statt des Kleingeflügels« etwas Größeres wie zum Beispiel Vampire fangen könnte. Ein echter, leibhaftiger Vampir in seiner Bühnenschau im Berliner Wintergarten würde ihn zweifellos zum größten Magier aller Zeiten machen. Dagegen würde auch Konkurrent Houdinis frisch aufscheinender Ruhm als magischer Entfesselungskünstler verblassen wie schlechte Tinte im Sonnenlicht. »Entfesselungskünste«, schnaubte er, »Schnickschnack! Die wahre Magie entfesseln wir!«
    Man kann sagen, dass beide Männer durchaus ein gewisser Hang zum Größenwahn auszeichnete. Jedenfalls stellte keiner von ihnen sein Licht unnötig unter den Scheffel. Vanderborg war der napoleonische Trieb vieler kleiner Männer zu eigen, mit großen Taten den Mangel an Statur auszugleichen, während der Große Pilati, ein Bär von einem Mann, von Selbstzweifeln noch nie angekränkelt war.
    So wurde aus der Idee ein Projekt geboren.
    Der Große Pilati stattete Vanderborg mit Geldmitteln reichlich aus, und dieser schaffte es bis zum Frühjahr des Jahres 1900, eine Maschine zu entwickeln, mit der er zumindest schon einmal Fledermäuse einfangen konnte. Für die erste Präsentation des Apparates wählten sie mit Bedacht die Rixdorfer Hasenheide, die schon immer ein beliebtes Ausflugsziel gewesen war, sich aber, seit die Pferdeeisenbahn vom Halleschen Tor bis dort fuhr, zu einem einzigartigen Vergnügungsviertel für die Berliner entwickelt hatte. Das in den zahllosen Gasthäusern und Varietés verkehrende Volk war von großer Wundergläubigkeit und besonders die ungebildeten Schichten ließen sich leichtdurch magische Vorführungen beeindrucken. Als nun also Vanderborg zusammen mit dem Großen Pilati seine Maschine in einer lauen Frühlingsnacht dort der Öffentlichkeit vorstellte, gelang es tatsächlich, drei Abendsegler zu fangen. Beifall und sprachloses Erstaunen im Publikum veranlassten den Großen Pilati auch noch dazu,
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