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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Autoren: Bianka Minte-König
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wieder dort leben. Vielleicht ziehen wir auch nach Hamburg und Hansmann tritt in die Reederei meines Vaters ein. Du musst dir keine Sorgen machen, dass wir dir noch lange zur Last fallen.«
    Ich brach nun ebenfalls in Tränen aus, und weil ihre Worte so glaubwürdig waren und mich erleichterten, nahmen wir uns in die Arme und beschworen unsere alte Freundschaft neu.
    Das war auch gut so, denn mir stand eine Zeit schwerer Prüfungen bevor, in der es wichtig war, eine bodenständige Freundin mit gesundem Menschenverstand an meiner Seite zu haben.
    Ich litt sehr darunter, Amadeus und Friedrich im Kriegzu wissen. So ging ich manche Nacht alleine hinunter zum See, schnallte die Schlittschuhe an und drehte einsame Runden. Auch Christian Morgenstern war inzwischen wie so viele Freunde verstorben und würde keine skurrilen Gedichte wie über den Schlittschuh fahrenden Seufzer mehr schreiben. Der Mond schien bleich und weiß und die vom Reif überzogenen Birken am Ufer des Sees glitzerten wie eine Märchenlandschaft im Reich der Schneekönigin.
    Aber statt mich daran zu erfreuen, war mir, als hätte sie einen dicken Eiszapfen in mein Herz gestoßen, so abgestorben fühlte ich mich.
    Ich verging vor Sorge um meine liebsten Menschen.
    Ohne Amadeus und Friedrich fühlte ich mich leer und hoffnungslos und mir fehlte jeder Lebensantrieb. Auch wusste ich nicht, wie ich Amanda beistehen konnte.
    Außerdem plagten mich in letzter Zeit immer wieder heftige Träume, in denen mein verhasster Gatte Utz sein Recht auf Amanda einklagte, sie von mir riss und mich perversesten Folterqualen unterwarf. Oft wachte ich schweißgebadet und schreiend auf und nahm aus diesen schrecklichen Traumgesichten die Sorge mit in den Tag, dass Utz tatsächlich auf Blankensee auftauchen könnte, um meine schlimmsten Albträume schreckliche Wirklichkeit werden zu lassen.
    Und immer häufiger fragte ich mich, was Utz in die Karpaten getrieben hatte? Er wollte doch wohl kaum in Przytulek nur Kränze auf die Gräber seiner Ahnen legen?
    Es fröstelte mich bis auf den Grund meiner Seele, wenn ich nur daran dachte, dass er inzwischen zu einem starken Vampir geworden sein könnte, der nur ein Ziel hatte: Amadeus und mich auszulöschen. Niemals würde er mir meine Untreue und den Tod seiner Geliebten MadameChantal verzeihen, ebenso wenig wie die Tötung seiner Ahnen. Und so befürchtete ich mehr denn je, dass Utz in Przytulek dabei war, Pläne für seinen Rachefeldzug gegen mich und Amadeus zu schmieden, die er vielleicht schon bald in die Tat umsetzen würde.
    Die Berichte von der Front waren nicht weniger beunruhigend. Immer mehr Soldaten, besonders in den unteren Rängen, denen die härtesten Einsätze unter Dauerbeschuss in den Schützengräben abverlangt wurden, waren den Gräueln des Krieges auch seelisch nicht mehr gewachsen und flohen völlig panisch, vom Gas und den Feuerwalzen der Flammenwerfer verwirrt, von den Schlachtfeldern.
    Um sie zu disziplinieren, gingen die eigenen Vorgesetzten immer rigoroser gegen diese armen Menschen vor, die sie zu Deserteuren erklärten, welche die Moral der Truppe untergraben würden. Woraufhin die illustrierten Zeitungen in der Heimat in einem Akt der Opposition nun häufiger anklägerische Fotos auf ihren Titelseiten brachten. Sie zeigten lange Reihen von Galgen, welche die Straßenränder säumten, und Massengräber mit standrechtlich Erschossenen. Eines Tages entdeckte Amanda ein Bild von Soldaten, die tot im Stacheldraht hingen, gleich daneben ein Pferd, das ebenfalls am Drahtverhau verendet war. Es rührte sie zu Tränen und immer wieder musste ich ihr versichern, dass es bestimmt nicht Baldur, ihr Liebling, war.
    »Aber die Blesse«, sagte sie schluchzend, »die Blesse, ich kenne sie doch genau!«
    Die Schlacht in Flandern ging verloren und Friedrich kehrte Ende Januar alleine nach Blankensee zurück.
    Er war körperlich und seelisch zermürbt, erklärte, dass er nach den Schlachten kein Blut mehr sehen, geschweigedenn zu sich nehmen könne, und als wir am Abend zusammen am Kamin saßen, zog er mich an sich und weinte stumm.
    Nun endlich musste ich die Frage stellen, auf welche ich die Antwort so schrecklich fürchtete.
    »So hast du keine gute Nachricht für mich, Friedrich?«, fragte ich leise.
    Er sagte nichts, sondern griff erst in die Jackentasche seines Uniformrocks und dann nach meiner Hand. Schweigend legte er einen flachen, kalten Gestand aus Metall hinein.
    Als ich begriff, dass es die Erkennungsmarke von
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