Die Chroniken von Araluen - Die Schwertkämpfer von Nihon-Ja
eine Hochzeit im Königshaus vielleicht?«
Sie tauschten ein verschwörerisches Lächeln aus. Dann griff Shigeru in den weiten Ärmel seiner Robe und holte eine kleine Rolle heraus, die mit einem schwarzen Seidenband zusammengehalten wurde. Er reichte sie Horace.
»In der Zwischenzeit soll dich das hier an mich erinnern. Es ist ein Zeichen meiner Freundschaft.«
Horace nahm die Rolle. Er zögerte, dann bedeutete Shigeru ihm, sie zu öffnen. Es war feines Leinenpapier. Darauf war mit den stilisierten, betont schlichten Pinselstrichen, die typisch für die Kunst von Nihon-Ja waren, ein Bär beim Lachsfang an einem Wasserfall gemalt. Es war ein faszinierendes Kunstwerk. Je länger Horace es ansah, desto mehr schien der Bär zum Leben zu erwachen und desto mehr schien das Wasser um ihn herum zu plätschern. All das war mit sparsamen, aber meisterhaften Pinselstrichen erreicht worden.
»Ihr selbst habt dies gezeichnet?«, fragte er überrascht, als er in der linken unteren Ecke das Symbol der drei Kirschen entdeckte.
Shigeru nickte. »Es ist recht simpel, aber es wurde mit Liebe angefertigt.«
Horace rollte das Papier langsam wieder zusammen, wickelte das Band darum und steckte es in seine Brusttasche.
»Es ist ein Kunstwerk«, sagte er. »Ich werde es stets bewahren.«
»Dann freut es mich«, sagte Shigeru.
Horace breitete verlegen die Hände aus. Er hatte nicht daran gedacht, sich ein Geschenk für Shigeru zu überlegen.
»Ich habe nichts, was ich Euch geben könnte …«, begann er. Der Kaiser hob anmutig den Zeigefinger, um ihn am Weiterreden zu hindern.
»Du hast mir mein Land gegeben«, sagte er einfach.
Sie sahen einander schweigend an. Alle Worte waren gesagt. Vom Schiff hörten sie Walts Ruf.
»Horace. Gundar sagt, die Ebbe kommt. Oder die Flut. Was auch immer. Wir müssen uns jedenfalls auf den Weg machen.«
Sein Ton war mitfühlend. Er hatte seinen jungen Freund und Shigeru beobachtet und spürte, dass sie den schwierigen Punkt erreicht hatten, der bei jedem Abschied eintritt: Wenn es nichts mehr zu sagen gibt und doch keiner derjenige sein will, der den letzten Schritt macht. Wenn jemand anders den Anstoß zur Trennung geben muss.
»Ich muss los«, sagte Horace heiser.
Shigeru nickte. »Ja.«
Noch einmal umarmten sie sich kurz und vorsichtig, um nicht die Schriftrolle in Horace’ Jacke zu zerdrücken. Dann drehte sich der junge Ritter abrupt um und rannte zur Leiter, die an Bord führte. Kaum war er an Deck, holten die Matrosen auch schon die Leiter an Bord und begannen, mit den Rudern das Schiff abzustoßen und den Bug in Richtung der offenen See zu drehen. Horace ging zum Heck und hob die Hand zum Abschiedsgruß. Am Strand erwiderte Shigeru die Geste.
Die Mannschaft hisste das Segel und das Wolfsschiff entfernte sich rasch vom Ufer. Horace blieb im Heck und sah die Gestalt an der Küste immer kleiner und kleiner werden. Nach einigen Minuten trat Evanlyn zu ihm und schlang den Arm um seine Taille.
Aus einem Impuls heraus wollte Will zu ihnen gehen, um sein Mitgefühl auszudrücken, aber Alyss fasste ihn am Arm und hielt ihn zurück.
»Lass sie«, sagte sie leise.
Er runzelte die Stirn und verstand im ersten Moment gar nicht, was sie meinte. Doch dann begriff er. »Oh«, entwischte es ihm leise.
Das Schiff hob und senkte sich, als der Wind auffrischte, und das Wasser begann heftiger gegen die Seiten des immer schneller werdenden Wolfsschiffs zu schlagen.
Schließlich umrundeten sie die Landzunge und Horace konnte seinen Freund, den Kaiser von Nihon-Ja, nicht länger sehen.
Vierundfünfzig
S chmetterling!«, sagte Will. »Warum ausgerechnet Schmetterling?«
»Ich habe gehört, es ist ein Ausdruck großen Respekts«, sagte Selethen ernst. Er versuchte offensichtlich nicht zu lachen. Wills Meinung nach etwas allzu offensichtlich.
»Für Euch ist ja alles bestens«, sagte er. »Euch haben sie Falke genannt. Falke ist ein ausgezeichneter Name. Er klingt kriegerisch und nobel. Aber Schmetterling?«
Selethen nickte. »Ich stimme zu. Falke ist ein passender Name. Ich vermute, es hat etwas mit meinem Mut und meinem großmütigen Herzen zu tun.«
Walt hüstelte und der Arridi sah ihn fragend an.
»Ich denke, es bezog sich weniger auf Euer Herz als auf ein anderes Teil Eures Körpers«, meinte Walt vorsichtig. Dabei tippte er sich bedeutungsvoll an die Nase. Auf diesen Moment hatte er schon lange gewartet, und die Gelegenheit war zu gut, um sie auszulassen. Selethen schniefte und drehte
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