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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes
Autoren: Isabel Beto
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wollte nicht dorthin. Sie stemmte die Füße in den Boden, aber die Schwarze Maria hatte keine Mühe mit ihr. Herausfordernd reckte Ruben den Kopf und erwiderte düster Marias Blick. Amely sah seinen Trotz, seine Wut oder einfach nur seine Hilflosigkeit. Eine seit langem gärende Wut brodelte in ihm, die nicht wusste, wie sie anders heraussollte, als alles und jeden zu verletzen.
    «Senhor Wittstock, hier ist Ihr Gattin», Maria legte Amelys Hand in seine. Aus der einstmals kraftvollen Pranke war jede Spannung gewichen. Nass und schwach, dass es Amely erschreckte. So schwach. Doch dann spürte sie zaghaft tastende Finger.
    «Amely …», seufzte Kilian. «Dich werde ich anscheinend nicht los. Du hast gewonnen. Mein Kautschuk wird bald nicht mehr viel wert sein. Sag mir, wer das ist, der dort steht. Wirklich mein Sohn?»
    «Ja, Kilian. Es ist Ruben.»
    «Nein. Nein, ich glaube das nicht. Er ist tot. Ich weiß es besser als du …»
    Seine Züge erschlafften. Sein Brustkorb stand mit einem Mal still. Sollte es sie nicht erleichtern? Stattdessen rieb sie seine Hand, um das Leben darin zurückzuholen. «Kilian, er ist es. O Gott, stirb doch jetzt nicht, es wird alles gut … alles gut …»
Deine Seele kann heilen, wenn du es nur zulässt
.
    Erleichtert sah sie, wie er rasselnd Atem schöpfte. «Nein, lass mich. Ich wäre blind, bald arm, und das Kind ist von ihm, richtig?»
    So nüchtern sagte er es, dass ihr das Grauen endgültig in alle Glieder fuhr. «Ja», hauchte sie. Tränen kitzelten ihre Wange. Ohne seine Hand loszulassen, hob sie den Arm an die Nase, um in den Stoff zu schnäuzen. Hassen sollte sie ihn, ja, ja! Aber mit seinem Schuss war all seine Scheußlichkeit ausgelöscht. Vor ihr lag ein bedauernswerter Mann.
    «Ich sterbe, Amely-Liebes. Es ist gut so. Ich bedaure nur, dass … dass ich … dass Ruben …»
    «Du hast mich in den Dschungel gejagt», stieß Ruben laut stöhnend hervor. «Du hast …»
    «Nein, Ruben, nein, wem nützen jetzt noch Vorwürfe?» Über Kilian hinweg ergriff sie seine Hand; ihre andere hielt noch immer Kilians. «Und war es letztlich nicht gut so, oder würdest du sagen, du hättest kein Yayasacu sein wollen? Es hat alles so kommen müssen.»
    «Was redest du da? Er hat jeden verjagt, der ihn nicht ertragen konnte! Mich, dich. Meine Mutter! Er hat sie in den Tod getrieben», schrie er, und an den Vater gewandt: «So war es doch, oder?» Kilians Kopf ruckte mühsam hin und her, als wolle er diesen Vorwurf mit einem wilden Kopfschütteln abwehren. Ruben achtete nicht darauf. Wieder begann er den Tisch zu umrunden. «Gebt ruhig zu, was hier für Dinge geschehen sind», fauchte er Herrn Oliveira, Doktor Barbosa und all jene an, die es wagten, hier zu stehen. «Schwindsucht! Eine Lüge war das, nicht wahr? Maria! Sag du es mir.»
    Ihre vollen Wangen bebten. «Was sagen? Dona Madonna an Tuberculose starb. Immer schwach. Wenn du fort, escarlatina. Immer Fieber, immer krank, arme Frau.»
    «Ich begreife kein Wort. Kein Wort!» Er wich zurück, sackte auf einen Stuhl. Maria stapfte auf ihn zu, und er hob abwehrend einen Arm, als fürchte er, sie werde ihm eine Ohrfeige verpassen. Er fand sich in ihrer Umarmung wieder. Seine Faust schlug auf ihren Rücken, während er aufheulte. Alles, was er seinem Vater hatte hinwerfen wollen – wie lange trug er es schon mit sich herum, ganz verschüttet, und nun war es nicht so, wie er es sich wohl oft ausgemalt hatte, seit er wieder wusste, wer er war. Kein Triumph. Nur ein Lodern alter Wunden.
    Herr Oliveira knetete fahrig die Hände, wie schon die ganze Zeit. «Ihre Frau Mutter war an Scharlach erkrankt, damals zu der Zeit, als Sie in den Wald liefen. Sie litt auch an Malaria – zweimal, wenn ich mich recht entsinne. Es erschien uns jedes Mal wie ein Wunder, dass sie überlebte. Erinnern Sie sich daran nicht mehr, Senhor?»
    «Scharlach – ich hatte es auch. Irgendwann davor; ich erinnere mich dunkel.» Ruben schob Maria beiseite und stand auf. So bleich und gramvoll sah er Amely an, dass sie am liebsten um den Tisch gestürmt und ihn ebenfalls in die tröstenden Arme genommen hätte, wäre sie nicht ärgerlich auf seine Unbeherrschtheit in dieser schlimmen Situation. «Das also war die Krankheit, die ich zu meinem Volk trug, ohne es zu merken. Ich wusste, dass ich schuld war. Aber ich – ich hatte immer gehofft, es doch nicht zu sein.»
    «Ruben», keuchte Kilian. Es war kaum mehr als ein verzweifeltes Flüstern. «Ich
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