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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes
Autoren: Isabel Beto
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unbeholfen versucht hatte. Vor Jahren schon. Vielleicht vor Jahrzehnten. Die ganze Zeit war irgendwo auf der Welt gewachsen, was die brasilianischen Kautschukbarone ins Straucheln bringen würde, und sie alle hatten nichts geahnt. Oder nichts ahnen wollen, während sie sich im Rausch des Reichtums feierten.
    Wenn ein Reich so wird, zerfällt es
, dachte Amely.
Hatte ich es nicht geahnt?
    «Aber, um Ihre Frage zu beantworten, Senhora:
auch
Ihretwegen.»
    Mit einem Mal nahm sie den schwer in der abgestandenen Luft klebenden Blutgeruch wahr. Ein rotfleckiger Verband lag um Kilians Kopf, beschattete seine Augen.
    «Lebt er noch?», hauchte sie.
    Bevor jemand antworten konnte, war Ruben zum Esstisch gestapft und umrundete ihn. «Er ist tot? Er wird nie wieder unsere Wälder verletzen? Den Ava grauenvolle Dinge antun? Niemals wieder wird er um sich schlagen, und alle stehen stramm vor Angst?» Seine Stimme, seine ganze Haltung troffen vor Verachtung.
    Nicht so
, dachte Amely.
Bitte, lieber Gott, lass es nicht so enden. Für beide nicht
.
    Der Geruch wurde ihr zum Gestank. Ihr drohten die Beine nachzugeben. Sie griff nach Marias Hand, doch die nahm sie gar nicht wahr; ihr Blick hing wie gebannt an Ruben. Er schien mit all seiner Gedankenkraft Kilian noch einmal zum Leben erwecken zu wollen. «Ich wollte, dass du zu mir in den Wald kommst», sagte er. Seine Stimme zitterte leicht. «Dass du siehst, wo ich bin. Aber jetzt sieh mich an, sieh,
was
ich bin.»
    Kilian lag still.
    Ruben brüllte auf, schlug eine Faust neben Kilians Kopf auf die Tischplatte, dass sie bebte. «Du hast Tiacca auf dem Gewissen. Du hast – Tiacca – umgebracht! Du selbst! Der Vantu bist du, aber kein Mensch.»
    So ruhig war es, dass selbst die Aras schwiegen. Erst unmerklich, dann immer klarer schälte sich Kilians Atem aus der Stille.
    «Erinnerst du dich an die Frau, die alle nur Mamãe nennen? Wie du sie bedrängt hast auf deine grausame Art?»
    Durch Kilian ging ein schuldbewusstes Zittern. Amely entsann sich dieses Namens. Mamãe. Ruben hatte sie, damals noch als der unwissende Aymáho, in den niedrigsten Vierteln von Manaus aufgestöbert. Eine Bordellmutter, zu der Kilian regelmäßig gegangen war und sich ihr auf widerlichste Art genähert hatte.
Und als ich es hörte, wusste ich noch nicht, dass es mein Vater war
, hatte Ruben ihr zitternd vor Hass hingeworfen. Und sie, Amely, hatte gedacht:
Es gibt Dinge, die ein Sohn niemals über seinen Vater hören darf.
    Ruben fegte die Instrumente zu Boden. Amely schien es, als würde es noch stiller, obwohl das kaum möglich war. Alle waren erstarrt angesichts seines Tobens. «Ruben!», schrie sie. «Merkst du nicht, dass du wie er bist?»
    «Ich bin Aymáho kuarahy. Ich bin ein Ava», spuckte er ihr voller Verachtung hin. «Die tragen ihre Gefühle vor sich her, hast du das vergessen?»
    «Du bist deines Vaters Sohn. Und du bist gerade dabei, es zu beweisen.»
    Er fuhr sich durch die Haare. Schüttelte den Kopf, als müsse er gegen seinen vermeintlichen Lärmgeist ankämpfen. Indianisches stieß er hervor, das sie kaum verstand. Er konnte seine Herkunft nicht leugnen, sosehr er es versuchte. Hätten sie beide besser nicht herkommen sollen? Fast reute sie es.
    «Er hatte nie Benehmen», murmelte Kilian.
    Ruben blieb am Ende des Tisches stehen, wo Kilians Kopf lag, und starrte auf ihn herab. Angewidert hatte er die Lippen über die Zähne gezogen. «Du erkennst mich also?»
    «Öfter hätte man dich schlagen sollen. Viel öfter.» Kilian bewegte leicht den Kopf. Schweißtropfen zogen Furchen durch rötliche Schlieren. Seine Finger krampften sich über dem Bauch zu Fäusten. «Es herrscht eben keine Zucht in diesem Land. Daheim im Reich stecktest du längst in der Hauptkadettenanstalt und würdest preußischen Anstand eingebläut bekommen. ‹Steh stramm!, Mund halten!, Griffel hochhalten!, Hände vorstrecken zum Schlag!› – das hat dir hier schon in der Schule gefehlt. Ich war in allem viel zu nachsichtig mit dir. Und das ist nun das Ergebnis.»
    «Ihr Vater ist blind», warf Herr Oliveira betreten ein.
    «So, blind!» Schwer schnaufte Ruben. «Und ich kann dich nicht hören, Vater.» Er legte die Hand hinter das rechte Ohr. «Was hast du da gesagt?»
    «Ich sagte, dass du jeden einzelnen meiner viel zu seltenen Schläge verdient hast …»
    War er noch Herr seiner Sinne? Amely spürte, dass Maria ihre Hand fest umschloss. «Dona Amely ist auch hier», die Negerin zog sie zum Esstisch. Amely
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