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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes
Autoren: Isabel Beto
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Aufruhr geben, wenn er das Haus betrat. Nun, da sich der träge Fluss mit all seinen liebgewonnenen Geräuschen und Gerüchen wie Balsam auf ihr aufgewühltes Inneres legte, begriff sie, was geschehen war. Dass er bei ihr war. Sie genoss den Anblick seiner Bewegungen, seines Muskelspiels, das die Falkenzeichnungen zum Leben erweckte. Die Brise, die sein helles Haar zum Flattern brachte. Er trug nur wenig Federschmuck derzeit; als habe er alles verloren. Ihre Tukanfeder war noch da. Ihr geschnitzter Tukan war noch da. Ihr erschien es plötzlich ganz richtig, dass sie jetzt dorthin musste, wo er sich befand.
    Sie merkte kaum, wie die Zeit verging. Ein kurzer Regen nässte sie; es störte sie nicht. Ihre Lunge konnte nicht genug bekommen von all der würzigen Feuchtigkeit. Es war gleich, was nun noch geschah; sie war, wo sie sein sollte.
    Es kam der weniger angenehme Augenblick, da sich die Stadt mit ihrem Gestank und Unrat bemerkbar machte. Doch dann war das Boot im Igarapé
do Tarumã-Açú
. Allmählich begann Amelys Herz vor Furcht zu pochen. An Kilians Privathafen schien alles unverändert. Dort, die kleine Treppe, nur zwei Stufen ragten derzeit aus dem Wasser. Ruben trieb den Einbaum an die Böschung, sprang hinaus und half ihr beim Aussteigen. Sie half ihm, den Einbaum hochzuziehen. Als er hinaufsteigen wollte, legte sie eine Hand auf seinen Arm.
    «Bitte nicht mit deinen Waffen. Das wäre kein guter Anfang.»
    Unter den Fingern spürte sie, dass er sich widerwillig versteifte. Unheilvoll schoben sich seine Brauen gegeneinander. «Du bist dir sicher, dass es hier keinen Zweiten gibt, der mich lieber tot sehen will?»
    Ganz sicher war sie sich nicht. Was, wenn Kilian dieser Zweite war? Doch sie nickte. Ruben streifte Bogen und Köcher ab und legte sie in den Einbaum. Schließlich zog er auch das Messer aus seinen Schnüren und warf es dazu. Der Blick, den er ihr zuwarf, besagte, dass er sich dennoch nicht wehrlos fühlte und es auch nicht war. Amely stieg die Treppe voraus und wandte sich nach links, zu den Gräbern. Vielleicht lag Kilian inzwischen hier?
    Der kleine Friedhof sah aus wie immer. Amely schritt zu den Büschen und zog das triefende Blattwerk auseinander, bis Rubens Grabstein zum Vorschein kam.
    «Was ist das für ein Mensch, der etwas Derartiges getan hat?», fragte er sie.
    «Vielleicht nur ein verwirrter», murmelte sie. «Komm.»
    Sie führte ihn über die Kieswege, unter den niedrigen Kronen der sorgsam gepflegten Bäume hindurch. Zwei Gärtner waren an Hibiskusbüschen beschäftigt und hatten ihr die gebeugten Rücken zugekehrt, zwei andere widmeten sich ebenso hingebungsvoll dem englischen Rasen. Affen schnatterten und ließen hier und da die Blätter der Palmen schwingen, dass glitzernde Regentropfen umherspritzten. Auf der weiß leuchtenden Freitreppe stand niemand. Etwas lastete auf dem Haus – es war nicht zu sehen, nicht zu deuten, aber es war da: ganz wie an jenem Tag ihrer Ankunft, als sie, in der Sänfte getragen, die ‹Hütte› erblickt hatte.
Gero ist tot
. Wer würde gleich herauskommen und sagen, Kilian sei tot? Unwillkürlich blickte Amely vorbei am Brunnen zum schmiedeeisernen Tor, als erwarte sie jeden Augenblick Felipe auf seinem Campolina heranreiten zu sehen. Sie griff nach Rubens Hand.
    «Es ist nicht wie früher», sagte er. «Mir kommt es vor, als sei das Haus geschrumpft. Und die Farben sind verblasst.»
    Das zu hören erstaunte Amely, erstrahlten doch die rosafarbenen Kacheln und all das Weiß der Geländer und Säulen wie eh und je frisch geputzt. Langsam stiegen sie die Treppe hinauf. Amely griff nach den Klinken der Flügeltür.
    «Verschlossen. Das ist sie eigentlich nur nachts. Warte einen Augenblick.»
    Sie eilte auf der Veranda entlang ums Haus, bis sie an den hohen Fenstern anlangte, die zu Herrn Oliveiras Bureau gehörten. Wenn sie Glück hatte … ja, sie hörte ihn reden. Durch die Lamellen der Fensterläden, die er zum Schutz vor der Sonne geschlossen hatte, sah sie ihn am Schreibtisch sitzen. Als sie an die Lamellen klopfte, fuhr er hoch. Grenzenloser Unglauben stand in seinem Gesicht. Er riss das Fenster auf, dann den Laden. «Senhora Wittstock! Wir haben uns schon alle gefragt, ob man Sie wieder entführt hat, als es hieß, dass …»
    «Aber nein», unterbrach sie ihn lächelnd. «Wenn Sie bitte die Tür öffnen würden?»
    «Natürlich.»
    Vom Eingang her kam ein krachendes Geräusch, als splittere Holz. Himmel! Ruben hatte die Tür eingetreten!
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