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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes
Autoren: Isabel Beto
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sonst. Langsam ging sie in die Knie. Auf der Schulter spürte sie Julius’ schweißfeuchte Hand. Sein Atem strich über ihren Nacken.
    «Keine Angst, Liebes.» Seine Stimme war dicht an ihrem Ohr. «Das Scheusal wird dir nichts antun. Vorher hole ich ihm nämlich mit der Flinte die Knochen aus dem Gesicht.»
    «Aber wenn … wenn du nicht triffst? Er ist bestimmt nicht allein. Hier sind noch mehr Wilde. Sie sind überall!»
    «Schscht. Hast du so wenig Vertrauen in deinen Großwildjäger? Wenn’s sein muss, nehme ich es mit einer ganzen Horde auf.»
    Ihre Nackenhärchen stellten sich auf. Täuschte sie sich, oder hatte Julius tatsächlich einen Kuss auf ihre bloße Haut gehaucht, unterhalb ihres Ohrs? In
dieser
Situation? Sie sehnte sich danach, sich umzuwenden und ihn zu umarmen. Mehr noch, seinen Kuss zu erwidern. Aber dann spürte sie, wie er sich auf seinen Schuss zu konzentrieren begann. Sie durfte sich nicht rühren, ja, nicht einmal atmen … Auch der Wilde war erstarrt. Er umklammerte seine Waffen, doch er machte keine Anstalten, sie zu nutzen. Als wüsste er, dass er sich dem Stärkeren zu beugen hatte.
    «Was machen Sie denn da?»
    Amely fuhr auf den Knien herum. Ein Schutzmann stand wie aus dem Boden gewachsen wenige Schritte entfernt. Mit seinem Schlagstock tippte er gegen ein blechernes Schild, sodass es schepperte. «Sehen Sie nicht, was hier steht? ‹Füttern und Ärgern der Exoten verboten.› Also weg mit dem Stecken, junger Mann!»
    Julius ließ den Ast fallen und rückte verlegen seine Nickelbrille zurecht. Eilends half er Amely auf die Füße. Sie strich sich den bodenlangen Rock glatt, ordnete ihren Herbstpaletot und das verrutschte Barettchen auf der Hochsteckfrisur. Ihr Gesicht war vermutlich rot wie das eines Kindes, das mit den Fingern im Marmeladetopf erwischt wird. Trotzdem konnte sie das Lachen nur mit Mühe unterdrücken. Eine Entschuldigung murmelnd, traten sie durch ein Türchen zurück auf den Kiesweg. Nun erst merkte Amely, dass es nieselte, und ihre Knie fühlten sich klamm an. Sie nahm den Schirm, den sie an den Zaun gehängt hatte, und spannte ihn auf. Über die Schulter blickte sie zurück. Das Gelände dahinter war kein Dschungel mehr, sondern eine Wiese, vollgestellt mit riesigen Kübeln, in denen tropische Pflanzen wuchsen. Der Wilde hatte sich eine Decke um die Schultern geworfen. Sein Blick in den wolkenverhangenen Himmel war trübselig. Er stapfte, seinen Spieß als Stock nutzend, zu den drei Strohhütten, vor denen eine Frau und ein paar Kinder um ein Kochfeuer hockten. Auch sie trugen beinerne Schmucknadeln im Gesicht und wenig Stoff an den milchkaffeebraunen Leibern. Sie rieben ihre Füße aneinander, während sie dicke Wurzeln schnitten. Ihre Lider waren tief gesenkt. Auch als sich zwei Jungen in Matrosenanzügen näherten, um in den Kessel zu glotzen und sich gegenseitig lachend die Ellbogen in die Seiten zu hauen, hoben sie nicht den Blick.
    «Sie frieren», murmelte Amely.
    «Das ist ja auch ein Mistwetter heute.» Julius drehte sie an der Schulter zu sich um. «Sollen wir rüber nach Afrika? Da scheint zwar auch nicht die Sonne, aber es wird gleich ein Stammestanz aufgeführt.»
    Sie dachte, dass in seinen hellen Augen, unter denen die Sommersprossen tanzten, immer die Sonne stand. Dass er tagein, tagaus im düsteren Kontor ihres Vaters, des Fahrradfabrikanten Theodor Wehmeyer, die Ärmelschoner am Schreibtisch abnutzte, konnte daran auch nichts ändern.
Großwildjäger
, dachte sie lächelnd.
Ich war deine einzige Beute, und so bleibt’s auch für den Rest unseres Lebens
. «Ich möchte lieber ins Terrarium. Da soll es Pfeilgiftfrösche geben, so bunt wie Edelsteine. Oder doch erst ins Tansania-Café? Ich brauche etwas Warmes.»
    «Ganz, wie du möchtest, wertes Fräulein.» Er bot ihr den Arm, und sie hakte sich unter. Die Menschen strömten über die Wege, sammelten sich an den Zäunen um die nachgebauten Neger- und Indiodörfer, schnatterten und klatschten, wenn es irgendwo wieder eine völkerkundliche Sensation zu bestaunen gab. An der Seite des Liebsten zu spazieren ließ Amely sich ungemein erwachsen fühlen. Zwar bestaunte niemand das Pärchen, denn überall gab es wesentlich Interessanteres zu sehen. Aber gerade das machte es so wahr. Plötzlich zog Julius sie hinter eines der mannshohen Plakate, die überall an den Wegen
Carl Hagenbecks Exotenschau hier in Berlin
anpriesen. Er war so schnell, dass sie seines Mundes erst gewahr wurde, als er fast schon
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