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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes
Autoren: Isabel Beto
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ihre Lippen berührte. Hastig schob Amely die Ellbogen vor.
    «Nicht! In aller Öffentlichkeit – das geht doch nicht!»
    «Aber hier ist das Plakat.» Julius klopfte gegen den hölzernen Aufsteller. «Und da dein Schirm. Niemand kann uns sehen.»
    Er machte Anstalten für einen zweiten Versuch. Amely erwehrte sich seiner Hände um ihre Taille. «Hör auf. Wenn nun mein Vater zufällig herschaut! Er muss ganz in der Nähe sein. Und dann ist uns ein Donnerwetter gewiss. Er hat in letzter Zeit ohnehin so eine komische Laune.»
    Mit einem entsagungsvollen Seufzer ließ Julius sie los. «Gut, das Gewitter möchte ich gerne verpassen. Obwohl, in letzter Zeit wirft er gar keine Blitze mehr. Gestern hat der Lehrjunge den Ofen im Kontor mit wichtigen Papieren angefeuert, und da hat’s nicht mal eine Backpfeife gesetzt. Herr Wehmeyers Kopf ist von den neuen Zeichnungen und Plänen und Listen nicht mehr wegzukriegen.»
    Amely hakte sich wieder bei ihm unter, und sie flanierten weiter. «Er lebt ja schon seit jeher fürs Geschäft. Aber in letzter Zeit ist es besonders schlimm.»
    «Kautschuk boomt. Da muss er mithalten, das ist heute so.»
    «Kautschuk macht
was

    «Das nennt man so. Kautschuk hat Konjunktur. Das ist schon seit Jahrzehnten so, seit Charles Goodyear die Vulkanisation erfunden hat, aber im Moment sind die Preise besonders hoch. Überall braucht man heutzutage Gummi – für Reifen, Motoren, Kleidung …»
    «Schon, aber muss er jetzt diesen neumodischen Unfug bauen? Ein Fahrrad ist nützlich, aber eine Kraftdroschke? Wer soll diese teuren Dinger denn kaufen? Und wozu?»
    «Also, ich habe von ein paar reichen Leuten gehört, die sich ein Automobil zugelegt haben.»
    «Eben, das ist ein Spielzeug für Männer, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. Und so viele gibt’s davon leider nicht. Darauf will er jetzt sein Geschäft aufbauen? Und warum? Nur, weil ein Automobil im Gegensatz zu einer Pferdekutsche in zehn Minuten startbereit ist? Wann hat man es schon so eilig?»
    «Liebes, die Welt will stets schneller werden, auch wenn sie es nicht muss.» Er grinste, weil sie sich so ereiferte. «Das jedenfalls hat dein Herr Papa neulich zu mir gesagt.»
    «Kannst du ihn denn nicht von diesem Automobilistenunsinn abhalten?»
    «Ich?» Er tat, was er täglich tausendmal tat: Er schob sich die Nickelbrille hoch. «Ich bin doch nur sein Kontorist. Aber tät er mich nach Brasilien schicken, um einen Kautschukwald für die Firma zu erschließen, ich würd’s machen.»
    «Du? Im Leben nicht.» Sie knuffte ihn in die Seite. «Du könntest es sowieso nicht ertragen, ohne mich zu leben.»
    «Du würdest natürlich mitkommen.»
    «Niemals!» Sie rief es so inbrünstig, dass er sie festhielt, als fürchte er, sie könne ihm weglaufen. «So eine Völkerschau ist ja ganz spannend, aber im wahren Leben muss ich nicht auf einen Regenwaldindianer treffen. Wirklich nicht. Bleib du schön hier, du Möchtegerngroßwildjäger. Deine Zukunft sind Papiere, Tinte und Stempel.»
    «Wenn es dein Wille ist, Holde, werde ich auf ewig Aktenwagen durchs Wehmeyer’sche Kontor schieben. Schau, dort ist der Herr.»
    Amely winkte dem Vater, und Theodor Wehmeyer schwenkte zur Begrüßung den Hut. Er saß unter einem großen Strohdach, wo zwischen kleinen Rundtischen Neger in weißen Burnussen herumliefen und Kaffee und Kuchen servierten. Julius machte einen Diener und schob Amely formvollendet den Korbstuhl zurecht. Der Vater zog eine Zigarre aus der Westentasche und reichte sie ihm. Zu Tisch bat er ihn jedoch nicht; es gehörte sich nicht, dass ein Angestellter beim Firmeninhaber saß. Auch nicht, wenn es der zukünftige Schwiegersohn war. Julius schob die Zigarre in seine Rocktasche und wartete in angemessenem Abstand.
    «Nun, Amely-Kind? Eine Fassbrause?»
    «Lieber einen Kaffee. Ich hab kalte Knie.»
    «Das sehe ich, dein Rock ist schmutzig. Habt ihr euch schön amüsiert, ja? Gefällt dir die Ausstellung?»
    «O ja.» Sie reckte sich nach ihrem Vater und drückte einen Kuss auf seine Wange. «Danke, Papa, das ist ein schönes Geburtstagsgeschenk.»
    «Die Dame hat Geburtstag?», platzte ein fliegender Händler dazwischen. Auf einem Bauchladen schob er allerlei exotischen Krimskrams vor sich her. An seiner Schulter flatterten Luftballons. «Na, da muss doch een janz besonderet Jeschenk her, nich’ wahr, der Herr?»
    «Möchtest du etwas, Amely?»
    Amely war überrascht. Normalerweise hätte er einen so aufdringlichen Menschen mit einer
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